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Ulrich Greiner

Deutsche Heimat

Michael Buselmeier begibt sich in seinem wunderbaren kleinen Roman "Wunsiedel" auf die Spuren Jean Pauls.

Sommer 1964. Ein junger Mann fährt mit der Bahn durch die deutsche Provinz, vom badischen Heidelberg ins fränkische Wunsiedel: »Ein Flickenteppich aus Wiesen, Weizenfeldern, Waldstücken und vereinzelten Bauernhöfen. Birnen- und Apfelbäume am Feldrand, die Früchte blinkten wie gelbe Lampions. Ein weißes Kruzifix, ein Bildstock, flatternde Wäsche. Ein ganz mit Wein überwachsenes Bahnwärterhaus. Ein Sägewerk in einem versteckten Tal. Auf einem Grasweg eine alte Frau, die mit dem Stecken auf eine weiße Ziege einschlug. Eine Spatzenversammlung huschte wie trockenes Laub über den Erboden, als sei ein Windstoß dreingefahren. Die fränkischen Bauernhäuser am Wegrand, ernst auf den Abend zu mit immer längeren Schatten, Männer auf Fahrrädern oder zu Fuß, mit Körben und Werkzeugen beladen, auch die Alten mit glänzenden Milchkannen auf dem Heimweg, Kinder barfuß im Hof hockend zwischen Hühnern und Hunden.«

Der junge Mann ist nicht glücklich. Die Liebste hat er zurückgelassen, von der weinenden Mutter Abschied genommen. Ein angehender Schauspieler ist er, mit einem winzigen Engagement an der Freilichtbühne, wo ein zynischer Regisseur und mittelmäßige Mimen Goethes Götz von Berlichingen zugrunde richten werden und damit all die hochfliegenden Kunstideale, denen sich der Jüngling verschrieben hat. Aber das weiß er noch nicht. Er fragt den Schaffner nach dem Weg. Der wundert sich: »Was ein junger Mensch wie ich, sichtbar kein Kurgast, in einem so abgelegenen Städtchen wohl suchen könne, murmelte er, im Fichtelgebirge bei Fuchs und Hase, hart an der tschechischen wie an der ostdeutschen Feindesgrenze... Wunsiedel, da liegt es ja, rief der Schaffner und deutete auf seine Karte – ein schmaler Marktflecken, von Wiesen und Kornfeldern umgürtet, etwas abseits Granitfelsen und Fichten, zu einer gigantischen Naturbühne wild übereinander getürmt, Rebhühner im Brachland und Unken im Wald und die dunklen, stets offenen Augen der Teiche.«

Mit seinem jüngsten Roman Wunsiedel hat Michael Buselmeier einen romantischen Künstlerroman geschrieben. Nicht zufällig heißt sein Held Schoppe, wie jener andere Schoppe aus dem gleichnamigen Roman von 1989, der sich mit dem Rad durch die Steppen der Stadtränder kämpft, bis er endlich freies Gelände erreicht und mittendrin eine kleine Künstlerkolonie, die Adalbert Stifters Utopie einer Versöhnung von Kultur und Natur zeitgemäß zu verwirklichen versucht. Und hier, in Wunsiedel, ist es natürlich Jean Paul, der in seiner Geburtsstadt die Tonart vorgibt: »Ich entdeckte nahezu alles, was ich im Leben suchte und so dicht beisammen nicht finden konnte: das Idyllische und tränenreich Sentimentale, das kauzig Satirische, klassisch Erhabene, schwärmerisch Emphatische, das höllisch Zerrissene, Grausige und Trostlose. Am nüchternen Erzählen, dem Graubrot des Alltags, ist Jean Paul wenig gelegen. Immer läuft es auf Wasserkünste, Feuerwerke, Engelskonzerte hinaus, Sonnenauf- und -untergänge, Mondlandschaften, Sturmvögel am Gewitterhimmel...«

Und damit haben wir auch die Melodie und den Rhythmus dieses wunderbaren kleinen Romans. Idyllisch ist er in seinen liebevollen Beschreibungen von Natur und Landschaft; emphatisch in seiner Leidenschaft für die wahre Kunst und das wahre Theater; tränenreich und grausig bis zum Komischen in der Schilderung von Schoppes Liebesunglück, denn die fürchterlich schwankende Ulla will ihn verlassen. So rast er und hadert er, macht sich bei den Schauspielerkollegen weidlich unbeliebt und findet Trost allein in endlosen Wanderungen.

Erzählt aber wird die Geschichte von jenem älteren, nunmehr gereiften Mann und Schriftsteller, zu dem der grüne Junge von einst geworden ist. 44 Jahre später reist er an den Schauplatz dieses Sommers, erinnert sich nicht ohne Ironie der vergangenen Leiden und beschreibt die Veränderungen des Städtchens und des Landes: aufgelassene Läden, leer stehende Häuser, einsame Alte, Schnellstraßen, Sanatorien. Die frühere Lebensweise existiert nicht mehr, die Moderne hat Wunsiedel eingeholt.

Zugleich wirft Buselmeier (er ist Jahrgang 1938) manchen Blick zurück in die Kindheit nach dem Krieg, und kunstvoll webt er die Zeiten ineinander. Nicht weniges in diesem Buch dürfte autobiografisch sein, aber es bleibt dabei nicht stehen. Es erzählt von einem Selbstentwurf aus dem Geist der Romantik, und es führt uns ein Deutschland vor Augen, das wir Heimat zu nennen meist zögern. Heimat, im ästhetischen und politischen Sinn, ist Buselmeiers großes Thema. Er schreibt, was scheinbar unmöglich ist: den literarisch anspruchsvollen Heimatroman. Man spürt die Trauer über das unwiederbringlich Vergangene. Aber wo wäre diese Trauer besser aufgehoben als in der Literatur?



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