Home - Lauter Verrisse - Ferdinand von Schirach
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Ulrich Greiner Ferdinand von Schirach hat einen verworrenen Roman geschrieben Den neuen Roman Ferdinand von Schirachs habe ich nicht verstanden, selbst nach zweimaliger Lektüre nicht. Nun gibt es literarische Werke, deren Dunkelheit die Folge einer komplexen poetischen Expedition ins Unsagbare ist. Schirachs Buch jedoch ist weder poetisch noch komplex. Die aneinander gereihten Hauptsätze sind schlicht, und die Geschichte endet mit einem Mordprozess. Da würde man schon gerne wissen: Worum geht es eigentlich? Und warum heißt der Roman „Tabu“? Und wer ist die hübsche junge Frau auf dem Umschlag, die den Betrachter bedeutungsvoll anblickt? Dem Buch ist ein Zitat aus der Farbenlehre von Helmholtz vorangestellt: „Sobald sich das Licht der Farben Grün, Rot und Blau in gleicher Weise mischt, erscheint es uns als Weiß.“ Nach einer Präambel folgen in der Tat vier Kapitel: „Grün“ hat 120 Seiten, „Rot“ 11, „Blau“ 100, „Weiß“ 2. Auf den beiden letzten Seiten also soll alles zusammenfließen. Wir sehen dort den inzwischen berühmt gewordenen Fotokünstler Sebastian, wie er mit Gummistiefeln in einem Fluss steht, um zu fischen. „Er dachte an Sofia und er dachte an ihren Sohn. Bald würde er den Jungen zum Angeln mitnehmen.“ Das ist insofern beruhigend, als man eine gute Weile denken musste, Sebastian sei verrückt und die Beziehung zur schönen Sofia gehe in die Brüche. Ende gut, alles gut. Der Roman jedoch ist schlecht. Schirach liebt das philosophische Faseln, den bedeutungsschwangeren Psychologismus. Und er hantiert mit einer ästhetischen Theorie, die das Ineinander und das Gegeneinander verschiedener Ebenen von Wirklichkeit anschaulich machen soll. Es geht auch um die Frage, was Wahrheit in der Kunst bedeutet und was im Leben. Solch schweren Themen ist Schirachs Sprache nicht gewachsen, und gründlich durchdacht wirkt das Ganze ebenfalls nicht. Wenn ich recht sehe, handelt es sich alles in allem um einen großen Bluff. Er beginnt recht einprägsam mit der Entwicklungsgeschichte Sebastians. Aufgewachsen in einer heruntergekommenen adligen Familie ist der Junge von Beginn an einsam und auf sich selbst gestellt. Die völlig kalte Mutter interessiert sich nur für ihre Reitturniere, der trunksüchtige Vater nur für die Jagd. Immerhin scheint er den Jungen zu lieben und nimmt ihn zuweilen mit. Einmal schießt er ein Reh und weidet es aus. Das Bild des toten Tieres und der blutigen Innereien wird den Jungen ebenso traumatisieren wie der wenig später folgende Suizid des Vaters, der sich den halben Kopf wegschießt. Das alles ist nicht sehr schön, und man versteht, dass Sebastian einiges zu verarbeiten hat. So entsteht in seinem Kopf eine eigene Welt, die er manchmal mit der Außenwelt verwechselt. Farben haben dabei eine besondere Bedeutung. Als Künstler beginnt er mit Aktfotos, steigert sie zu pornografischen Inszenierungen. Es geht offenbar um die Obsession, in Körper einzudringen, sie zu manipulieren, ihre Objekthaftigkeit zu erkunden. Am Ende inszeniert er einen Mord, der aber gar keiner ist, sondern nur eine Performance. Es taucht dann eine Frau auf, die offenbar brutalen Zuhältern entkommen ist. Er schläft mit ihr, man weiß aber nicht, ob es diese Frau wirklich gibt. Er weiß es wohl selber nicht. Und schließlich erscheint aus dem Nichts seine Halbschwester, die in der Performance eine wichtige Rolle spielt. Kurz: Eine überaus verworene Geschichte. Und jetzt – wir befinden uns auf Seite 135, im Kapitel „Rot“ – wechselt unversehens der Erzählton, und wir sind in einen ganz normalen Krimi geraten. Eine hübsche Staatsanwältin ermittelt, und ein grantiger, Zigarillos rauchender Strafverteidiger versucht, Licht ins Dunkel des ominösen Falls zu bringen. Das Ganze geht aus wie das Hornberger Schießen, und auf der letzten Seite philosophiert Sebastian vor sich hin, das heißt ins Wasser des Flusses: „Jeden Morgen stehen wir auf, wir leben unser Leben, all die Kleinigkeiten, das Arbeiten, die Hoffnung, der Sex. Wir glauben, was wir tun, sei wichtig und wir würden etwas bedeuten. Wir glauben, wir wären sicher, die Liebe wäre sicher und die Gesellschaft und die Orte, an denen wir wohnen. Wir glauben daran, weil es anders nicht geht. Aber manchmal bleiben wir stehen, die Zeit bekommt einen Riss …“ Je nun. Fotografen sind zumeist keine Denker, deshalb fotografieren sie ja. Doch auch der Strafverteidiger liebt Sentenzen, wie man sie auf Kalenderblättern findet: „Menschen ändern sich nicht, das gibt es nur in Romanen. Wir stehen nebeneinander, wir berühren uns kaum. Es gibt keine Entwicklung. Wir erleben etwas, vielleicht geht es gut, meistens geht es schief.“ Das Buch ist voll von solchen Weisheiten. Und voll von blinden Motiven. Der Vater bringt den jungen Sebastian in ein Internat irgendwo in den Alpen. Es heißt: „Als sie durch ein Dorf kamen, das besonders ordentlich aussah, sagte der Vater, Nietzsche habe hier gewohnt. Er zeigte auf ein zweistöckiges Haus, Geranien standen auf den Fensterbänken. Sebastian wusste nicht, wer dieser Nietzsche war, aber der Vater hatte es so traurig gesagt, dass er sich den Namen merkte.“ Man weiß nicht, was die Anspielung soll, denn Nietzsches Gedanken spielen nirgendwo eine Rolle. Man weiß auch nicht, weshalb der Vater es traurig findet, dass Nietzsche in einem Haus mit Geranien gewohnt hat. Vermutlich ist Schirach einmal in Sils Maria gewesen und hat sich beim Schreiben daran erinnert. In der Tat sieht Sils Maria „besonders ordentlich“ aus. Auch sonst ist der Autor bei der Auswahl seiner Einfälle nicht sehr wählerisch. Sebastian verlässt eine für ihn erfolgreiche Vernissage und geht schwimmen. „Er ging zurück in die Linienstraße, packte ein paar Sachen ein und fuhr in das Stadtbad Charlottenburg. Es war 1898 gebaut worden, drei Stockwerke hoch, eine Jugendstilfassade aus roten Ziegelsteinen, das Dach eine Stahlkonstruktion wie bei einer Markthalle.“ Gut zu wissen. Oder die Bibliothek des Internats: „Die Stiftsbibliothek war ein hoher Saal mit hellem Eichenboden, hier standen über 1400 Handschriften über 200000 gedruckte Bücher, die meisten in Leder gebunden. Die Mönche hatten im 11. Jahrhundert eine Schreibschule gegründet, im 17. Jahrhundert kam eine Druckerei dazu.“ Hier vermisst man die Information, um welche Bibliothek es sich handelt und ob man sie besichtigen kann. Schirach neigt dazu, seine Geschichte mit erzählerischen Dingen zu möblieren, die eine aparte Atmosphäre erzeugen sollen. Sebastian in Rom: „Er ging sofort unter die Dusche. Das Wasser schmeckte nach Chlor. Nur mit einem Handtuch um die Hüften trat er auf den schmalen Balkon. Unten auf dem Platz lachte ein dicker Mann, er trug ein buntes Sweatshirt mit einer Stickerei über den ganzen Rücken: ,International Golf Team’. Er aß etwas aus einer Tüte. Seine Frau hatte keinen Hals.“ Der Strafverteidiger in einem Berghotel: „Vor der Terrasse mähte ein Bauer die Wiese. Der Traktor war schön, aber sein Auspuff war defekt.“ Um es deutlich zu sagen: Ferdinand von Schirach kann nicht schreiben. Natürlich kann er Texte verfassen, sachdienliche, scharfsinnige, kluge, schließlich ist er ein erfolgreicher Anwalt. Aber es fehlt ihm die Gabe der Imagination, des Herbeizauberns einer neuen Welt, der literarischen Subtilität. Bloß aus Hauptsätzen baut man keinen Palast, allenfalls eine Hütte. Und Schirachs Welt, die Welt des Verbrechens und des Unglücks, ist ja nicht allein traurig, sie ist auch auf triste Weise diesseitig, transzendenzlos, leer. Da ist kein Gott, kein Satan, kein Gral, keine blaue Blume, kein Schimmer einer Utopie. Wenn man die beiden ersten Bücher („Verbrechen“ von 2009 und „Schuld“ von 2010) noch einmal liest, dann erkennt man Schirachs Methode. Seine Erzählungen gleichen Bildern, die in aller Kürze und Präzision betextet werden. Wir haben Momentaufnahmen vor uns, oftmals wahrhaft fürchterliche, die schonungslos das Wesentliche eines Falles bloßlegen. Schirach kennt sich aus, und die Faszination, die seine Studien erzeugen, resultiert aus ihrer Wirklichkeitsnähe. Der Leser hat das Gefühl: So war es. Hier wären Ausschmückungen und Exkurse fehl am Platz, hier ist Schirach professionell. Zuweilen hat man ihm Kälte vorgeworfen. Er ist nicht kalt, sondern konzentriert, und aus der Lakonie, für die man ihn gelobt hat, spricht die Tugend des Juristen, das für die Beweisführung Unerhebliche strikt zu vermeiden. Das alles taugt für Fallstudien, nicht für einen großen literarischen Text. Der Roman lebt vom Reichtum der Bilder und Assoziationen. Damit kann Schirach nicht dienen, und „Tabu“ ist ja nicht einmal spannend, sondern bloß verwirrend. Woher rührt der gewaltige Erfolg seiner Bücher? Er hat wohl mit dem „Tatort“-Syndrom zu tun. Muss man es nicht gespenstisch nennen, dass Millionen in diesem Land es lieben, sich das Abstoßende und Grauenhafte, das mitten unter uns wohnt, regelmäßig zu Gemüte zu führen? Handelt es sich um Angstlust? Um die Genugtuung darüber, dass die Untat nur im Buch, nur in den Serien passiert, im eigenen Haus jedoch (hoffentlich) nicht? Findet man Trost im zuverlässigen Wirken von Polizei und Staatsanwaltschaft? Wer weiß. Soviel steht fest: Der Spaß am fiktiven Verbrechen kann nur dort gedeihen, wo das wirkliche nicht die Regel ist. Insofern muss man uns glücklich nennen.
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