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Eckhard Nordhofen Eschatologische Gewaltenteilung Die Aufklärungstradition des biblischen Monotheismus. Für Dolf, meinen väterlichen Mentor Dolf Sternberger hatte in seinem grundlegenden Hauptwerk Drei Wurzeln der Politik (Frankfurt 1978, Bd. 1, Seite 309) den Gottesstaat des Heiligen Augustinus, eine Schrift, die zwischen 413 bis 425 entstanden ist, und ihre Wirkungsgeschichte, als eine dieser drei Wurzeln – die eschatologische – freigegraben. Sein Verständnis von Eschatologie ist das übliche, d.h. es ist vom letzten Buch des Neuen Testaments, der Offenbarung des Johannes und der konkreten Deutung, die dieser Text durch den Bischof von Hippo und viele andere erfahren hat, inspiriert. Man muss Dolf Sternbergers Freilegung einer solchen eschatologischen Wurzel der Politik nicht in Frage stellen. Ihre Bedeutung ist vor allem mit Blick auf die utopischen Ausbrüche des politischen Denkens, zuvörderst denjenigen, der statt vom Reich Gottes vom „Reich der Freiheit“ (Marx) spricht, kaum zu bestreiten. Eine konkrete Eschatologie hat sich auch immer wieder auf Terminierungen und Zeitpläne festlegen lassen. Hier erkannte Dolf Sternberger sogar eine Familienähnlichkeit zwischen den Berechnungen adventistisch-fundamentalistischer Sekten und den durchaus handfesten Prognosen des Zentralkomitees der KPDSU, mit denen das Hereinbrechen des kommunistischen Endzustands als "Reich der Freiheit" in Fünf-Jahresplänen angegangen und in Zwanzig-Jahresplänen erreicht sein sollte. Es gab nicht nur die Naherwartung der ersten Christen, für die die Wiederkunft des Herrn unmittelbar bevorstand, Naherwartung gab es auch in der gottlos-kommunistischen Variante. Toxische Kompensationen Worin ist die toxische Gefährlichkeit einer ins Politische gewendeten konkreten Eschatologie begründet? Wenn sich die Erwartung der Parusie mit konkreten Rollenzuweisungen verbindet, wenn man weiß, wer als Subjekt des Geschichtsprozesses das Recht zum Handeln hat - und das ist in der Konsequenz ein Recht zur Herrschaft - dann werden Instrumente gesucht und gefunden, mit denen man sich anheischig macht, den erhofften Endzustand im Handstreich herbeizuführen. Konkrete Eschatologie wird zur Ermächtigungsideologie. Konkrete Eschatologie ist in ihrer temporalisierten Variante besonders gefährlich. Temporalisierte Eschatologien, das sind Eschatologien unter dem Gesetz der knappen Zeit. Sie enden oft blutig. Eschatologische Ungeduld will beschleunigen. Wahnhafte Sektenführer entwerfen das Design des jüngsten Tages wie einen planbaren Event. Sie verfügen über diesen Termin, als seien sie die Besitzer der Zeit, die Herren der Geschichte und organisieren den Massen(selbst)mord, wie etwa Jim Jones, der 1978 im Urwald von Guyana einen Massensuizid organisierte, dem er und 900 seiner Anhänger zu Opfer fielen. Hans Blumenberg (Lebenszeit und Weltzeit, Frankfurt 1968, Seite 80) hat im Anschluss an Sebastian Haffner (Anmerkungen zu Hitler, München 1978, Seite 14) eindrucksvoll herausgearbeitet, dass der Entschluss Hitlers, den Krieg als Beschleunigungsmaschinerie in Gang zu setzen, ein Versuch war, sein persönliches Lebensende mit dem Weltenende zusammenfallen zu lassen. Der Wunsch, in seinen persönlichen Untergang „eine Welt mitzunehmen“, hat jedenfalls die Gedanken Hitlers in seinen letzten Tagen geprägt. Nach dem Zusammenbruch der Ardennen-Offensive sagt er zu seinem persönlichen Adjutanten Nikolaus von Below: "Wir kapitulieren nicht, niemals. Wir können untergehen. Aber wir werden eine Welt mitnehmen." (Nicolaus von Below, Als Hitlers Adjutant 1937-45, Mainz 1980, Seite 398) In den Bormann-Diktaten heißt es: "Ich hingegen stehe unter dem Schicksalsgebot, alles innerhalb eines einzigen kurzen Menschenlebens zu vollenden. Mir steht nur eine nüchterne Weltanschauung zur Seite, auf Realitäten begründet, deren Versprechen greifbare Form annehmen müssen, und die mir verbietet, den Mond zu versprechen. Wofür die anderen eine Ewigkeit haben, dafür bleiben mir nur ein paar armselige Jahre." (Hitlers politisches Testament. Die Bormann-Diktate vom Februar und April 1945. Hamburg 1981, Seite 73). "Die anderen" sind seine weltanschaulichen Gegner. Christen haben "eine Ewigkeit". Aber ist denn nicht der Begriff „Eschatologie“ seinem Wesen nach ein temporaler Begriff? Dies ist zunächst nicht zu bestreiten. Es fragt sich freilich, ob die "Lehre von den letzten Dingen" zu irgendwelchen Einträgen im Kalender berechtigt. Im Folgenden möchte ich die kalendarische Deutung des eschatologischen Zeitmoments durch eine Deutung ergänzen, die den Zeitfaktor in einen heilsgeschichtlichen Rahmen stellt, der keine Termine und falschen Konkretionen kennt. Der Begriff gewinnt dann eine existentielle Bedeutung. Eschatologie erscheint zunächst in der Tat als ein Begriff, der das Ende der Zeit, den jüngsten Tag theoretisiert, das heißt wörtlich, „in den Blick nimmt“. Wer die Offenbarung des Johannes liest, vor dessen Auge wird eine literarische Bilderfolge von großer Suggestivkraft ausgebreitet, die zwar aus einer Gegenwartsperspektive gesehen ist, deren visionäre Erregung von einem Zukunftsblick in Vibration versetzt wird, der das unmittelbare Ende schon vor sich sieht und die Indizien kennt, die es ankündigen. Als Zeitkategorie strebt die Zukunft gegen Null, sie wird zum knappen Gut. Für Johannes gibt es keinen Grund, die Folgen dieser Unmittelbarkeit zu entdramatisieren, im Gegenteil! Wir treffen hier den Prototyp eines psychischen Mechanismus, der in der späteren Religionsgeschichte öfter wiedergekehrt ist. Seuchen, Epidemien, Katastrophen, bringen die apokalyptischen Reiter auf Trab. Jahrhundert- und Jahrtausendwenden werden zu Indizien für das nahe Ende. Die prophetische Rede war nie frei von dem Hinweis auf die knappe Frist. Noch ist Zeit: „Noch 40 Tage, und Ninive ist zerstört!“ (Jona, 3,4). Die prophetische Beschwörung der unmittelbar bevorstehenden finalen Katastrophe will zur Umkehr rufen und die Gemüter zum Zittern bringen. Der Prophet Jona ruft die Stadt zur Umkehr, und voilá - Ninive bekehrt sich. Der Topos existiert schon im Alten Testament, als von einer Wiederkunft Christi noch keine Rede sein konnte. Dem Drama der knappen Zeit hat Hans Blumenberg seine große Untersuchung über den Hiatus von Lebenszeit und Weltzeit gewidmet. Für alle Menschen aller Zeiten, in jeder individuellen Lebensgeschichte ist das Bewußsein von der eigenen über kurz oder lang besiegelten Endlichkeit ein anthropologisches Proprium. Zu den Kompensationsfiguren, mit denen das menschliche Bewusstsein auf die knapp und knapper werdende Frist der eigenen Lebenszeit reagiert, gehört der Gedanke, an einer prominenten Stelle der Weltzeit selber Zeitzeuge sein zu können und damit selbst eine wenigstens abgefärbte Prominenz zu erwerben, die über den Hiat von Weltzeit und Lebenszeit hinweg helfen könnte: "Von hier und heute hebt eine neue Epoche der Weltgeschichte an. Und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen." Das sagt Goethe nach der Kanonade von Valmy. Das Ausrufen von Epochenwenden und Weltkrisen weitet den Blick ins Weltgeschichtliche. Es kann jedenfalls die engen Grenzen der eigenen gezählten Jahre überspringen. So wird die Rede von der Weltkrise zum Topos. Die Welt ist immer wieder neu aus den Fugen, immer wieder einmal heißt es: "So kann es nicht weitergehen, kehrt um!" Auch die gegenwärtige globale Debatte um die Erwärmung des Globus steht unter dem Verdacht der adventistischen Versuchung durch konkrete Eschatologie. Wenn es dann später einmal heißen wird: „Wir sind noch einmal davongekommen“, ist das Kompensationpensum ein anderes. Dann gilt es damit fertig zu werden, dass die finale Katastrophe ausgeblieben ist. Der verfrühte Wärmetod der Welt kommt in den Fundus, wo schon der Atomtod, das Baumsterben, die Bevölkerungsexplosion, die Warnungen des Club of Rome archiviert sind. Alle diese prophetischen Warnungen und Rufe zur Umkehr entbehrten gewiss nicht der Grundlagen, stehen aber nach der Ausnüchterung unter dem Blumenberg-Verdacht, ein latentes Katastrophenbedürfnis nach einer commutatio magna zu bedienen. Konkrete Eschatologien oder die „Lehre von den letzten Dingen“? Es war für die frühe Christenheit und die Väterzeit ein großes Transformationspensum, die Naherwartung der Wiederkunft Christi zugunsten eines unbestimmten Zeitrahmens zu amplifizieren. Erste Spuren dieses Prozesses finden sich schon im Neuen Testament selber, wo gegen schnelle Terminfestlegungen, das Nicht-Wissen von Tag und Stunde der Wiederkehr Christi herausgestellt wird. In Mk 13,32 heißt es: "Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn.“ Und Mt 25,13 verweist auf das Nichtwissen von Tag und Stunde, um zur Wachsamkeit zu ermahnen. Erik Peterson hat einen scharfsinnigen Zusammenhang zwischen dem Kollaps der Naherwartung und der Konstituierung der Kirche hergestellt. Er zitiert die berühmte Sentenz von Alfred Loisy: "Jésus annonçait le royaume, et c`est l’église qui est venu" – Jesus kündigte das Reich an, und was kam war die Kirche. (Erik Peterson, Die Kirche, in Theologische Traktate, München, 1951, Seite 411-429.) Dieser Satz wird gerne von Kritikern der verfassten Kirche zitiert, gegen deren Institutionalisierung ein Jesus aufgeboten wird, dessen Königreich dagegen schwerelos und frei von jedem institutionellen Ballast erscheint. In diesem Sinn dürfte der Modernist Loisy seine Pointe wohl auch gemeint haben. Peterson nimmt den Satz unerwartet ernst. Für ihn ist er kein polemisches Bonmot sondern eine erläuterungsbedürftige Sachaussage. Er stellt die These auf: „Kirche gibt es nur unter der Voraussetzung, dass das Kommen Christi nicht unmittelbar bevorsteht, dass mit anderen Worten die konkrete Eschatologie ausgeschaltet ist und statt ihrer die ’Lehre von den letzten Dingen’ aufgekommen ist.“ Peterson unterscheidet eine „konkrete Eschatologie" von der "Lehre von den letzten Dingen". Diese Unterscheidung ist ein entscheidender Schritt zu einem neuen Verständnis von Eschatologie. Der Ersatz der konkreten Eschatologie durch die "Lehre von den letzten Dingen" in der Kirche ist für Peterson kein Abfall von der Verkündigung Jesu. Er ist vielmehr die Konsequenz eines tieferen Verständnisses der Inkarnation angesichts des noch nicht eingetretenen Endes aller Tage. Das konkrete Wissen um Zeit und Stunde ist eine göttliche Vorenthaltung. In der Terminologie Petersons ein „eschatologischen Vorbehalt“. Konkrete Eschatologie ist eine Frucht vom Baum der Erkenntnis. Sie muss, anders als bei Adam und Eva, nicht einmal verboten werden, denn wir leben schon längere Zeit nicht mehr im Paradies. Nachparadiesisch können wir die Gott vorbehaltene Erkenntnis nur erschlichen haben. Sie wird regelmäßig vom Lauf der Dinge, vom Ausbleiben der Prophezeiungen in schöner Eindeutigkeit widerlegt. Inzwischen legen sich selbst die „Zeugen Jehovas“ nicht mehr auf ein genaues Datum fest. Peterson interessiert sich für den inneren Zusammenhang, den die Verabschiedung konkreter Eschatologie mit der Entstehung der Kirche hat. Wenn das Reich noch nicht da ist, muss es die Kirche als seinen zweitbesten Platzhalter geben. Er blickt auf die paulinische Amplifikation des Erwählungsgedankens. Nicht mehr nur die Juden, sondern alle, also auch die Heiden, sind nach Paulus und dem Apostelkonzil erwählt. Die eschatologische Perspektive wird universal. Sie kann vom Volk der ersten Erwählung auf alle Menschen übertragen werden, die in die durch Jesus neu dimensionierte Heilsgeschichte eintreten wollen. Peterson sieht diesen Übergang als eine „notwendige Folge aus der Tatsache, dass das Kommen Christi nicht mehr unmittelbar bevorsteht und dass nicht mehr Juden zum Reich, sondern Heiden zur Kirche berufen werden." Für unseren Zusammenhang ist wichtig, dass die Amplifikation des Erwählungsgedankens und die Amplifikation des Begriffs von Eschatologie, genauer die Ablösung der "konkreten Eschatologie" durch die "Lehre von den letzten Dingen", sich ein und derselben Bewegung verdanken. Aurelius Augustinus blickt im 5. Jh. nicht mehr mit naiver Naherwartung auf das Kommen des Gottesreiches. Für Dolf Sternberger "steht die Civitas Dei des Augustinus auf der Seite nicht der Ungeduld, sondern der Geduld, sogar der äußersten Geduld" (a.a.O. Seite 362). Dennoch macht er dem Kirchenvater den schwerwiegenden Vorwurf einer vorschnellen, allzu konkreten Deutung: "Der Kirche also kommt, nach Augustinus, eine eschatologische Bedeutung zu: sie stellt nämlich diejenige Herrschaft Christi mit den Heiligen, das heißt den Gläubigen, und diejenige Herrschaft der Heiligen mit Christus dar, die als das Tausendjährige Reich in der Offenbarung des Johannes geweissagt war." (Seite 322) Die Identifikation des apokalyptischen Tausendjährigen Reichs mit der Kirche wäre in der Terminologie Petersons eine konkrete Eschatologie. Das visionäre Bild erhält eine umkehrbar eindeutige Referenz zu einer real existierenden Institution. Die Bilderwelt der eschatologischen Rhetorik wird behandelt wie ein Code, den es zu knacken gilt. Nach Peterson ist die Eschatologie des Vorbehalts ex definitione nicht konkret. Sie darf es nicht sein, denn sie ist die Garantin des Abstands. Immer wieder ist die prophetische Rede als Prognose zukünftiger empirischer Ereignisse missverstanden worden. Eschatologie, wörtlich, die „Rede über die letzten Dinge“ ist eine Grenzbetrachtung, auch eine Grenzbetrachtung der Zeit. Sternberger unterscheidet nicht wie Peterson zwischen einer konkreten Eschatologie und der "Lehre von den letzten Dingen", denn sein Interesse gilt der problematischen politischen Wirkungsgeschichte. Nach ausführlicher Inspektion der Augustinischen Spekulationen über das ewige Leben, das auch den Verdammten in der Hölle beschieden sein soll, ist er von solcher Unbarmherzigkeit angewidert. So kommt er zu einem Verdikt, das an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lässt: "Eschatologik ist notwendig und von Grund auf inhuman." Nach Sternbergers Verständnis "macht es das Wesen der Eschatologie aus, dass sie, als Heils- und übrigens zugleich als Unheilsgeschichte, vom Diesseits ins Jenseits reicht." Dem könnte man zustimmen, wenn man Eschatologie immer als konkrete verstehen müsste. Es ist offensichtlich, dass es diese Subreption ist, die ihn bei Augustinus und überhaupt stört. Er liest De Civitate Dei als affirmative Ermächtigungstheorie für die Kirche. Die Kirche hatte ihre Naherwartung nach vier Jahrhunderten durchaus in die Richtung einer „Lehre von den letzten Dingen“ weiterentwickelt. Weil die Wiederkunft Christi nicht alsbald eingetreten war, hatte sie sich sehr bald von temporalisierter Eschatologie verabschiedet, aber hatte sie sich damit von aller konkreten Eschatologie verabschiedet? Sternbergers kritische Augustinuslektüre, die hier nicht in allen Einzelheiten diskutiert werden kann, stellt Warntafeln vor einer Theologie auf, die zur Herrschaft ermächtigt. Die Kirchengeschichte bietet dafür ausreichend Illustrationsmaterial an. Augustinus` Gegenüberstellung einer Civitas terrena und der Civitas Dei ist geprägt von einer Erfahrung des Niedergangs des römischen Imperiums, vom Schrecken über die Eroberung der Stadt Rom durch Alarich. Auch hier ist ein durchaus konkretes temporales Element dieses politischen Epochenschreckens unübersehbar. In einem Zustand des politischen Äquilibriums, etwa einem langen augusteischen Friedenszeitalter, wäre gewiss keine Lehre von den zwei Reichen entstanden. Es ist der deutlich vor Augen stehende Niedergang, der die Frage nahelegt: „Was steht uns nun bevor?“ Wenn es eine „magna commutatio“, die große Umwälzung ist, dann ist der Niedergang der Civitas terrena des irdischen Reiches oder der irdischen Reiche kein finales Unglück, sondern durchaus zu ertragen, da ja der Anbruch der Civitas Dei bevorsteht. Dolf Sternberger zitiert Ernst Troeltsch, der vom „absolut unpolitischen Charakter dieser christlichen Sicht“ gesprochen hat, und verlängert dieser Gedanken zum Verdikt gegen diese eschatologische Wurzel der Politik. Augustinus wird für Sternberger zum Kirchenvater der Antipolitik. Wer den Blick allzu sehr auf die letzten Dinge richtet, schaut nicht vor die Füße, er kümmert sich nicht um die Polis, um die res publica und ihre Verfassung. Angesichts des (bald?) hereinbrechenden Gottesstaates werden diese Aufgaben bleich und unwichtig. Eine familienähnliche Variante dieser Kritik kennen wir von Karl Marx, der mit seinem berühmten Diktum, Religion sei „Opium des Volkes“, die Religion mit Blick auf ihr Vertröstungspotenzial funktionalisiert. Ihre Funktion ist für ihn eindeutig schädlich. Wer den verelendeten Arbeitssklaven das Paradies nach dem irdischen Jammertal verspricht, hält sie davon ab, ihre Interessen kraftvoll zu vertreten, oder sich gegen ihre Sklavenhalter zu erheben. Hermann Lübbe deutet die Tröstungskompetenz des Christentums im 20. Jh. eher freundlich. Diese Religion ist nützlich, sie helfe bei der „Kontingenzbewältigung“. Es gibt freundliche und unfreundliche Funktionalisierungen des Christentums. Für den einen ist es schädlich, weil er es als Hemmnis für den Fortschritt der Wissenschaft betrachtet, dem anderen erscheint es nützlich, weil empirische Untersuchungen ergeben haben, dass der religiöse Glaube gesundheitsfördernd und lebensverlängernd wirkt. Alle diese Bilanzdebatten laufen aber auf das transfunktionalistische Paradox hinaus. Es besteht in der Erkenntnis, dass der religiöse und christliche Glaube seine Funktion nur dann erfüllen kann, wenn er gerade nicht aus funktionalen Gründen für wahr gehalten wird. Wer die Wirksamkeit eines Placebos beschreibt, bei dem kann es nicht mehr wirken. Kein Ungläubiger wird sich aus Gesundheitsgründen dem Glauben zuwenden. Kein gläubiger Wissenschaftler wird sich wegen vordergründiger Widersprüche von ihm abwenden, sondern nach Wegen suchen, die den Glauben und seine Wissenschaft verträglich machen. Dolf Sternbergers Deutung der eher malignen Auswirkungen augustinischer Eschatologie soll nicht widerlegt, sondern ergänzt werden. In dem Maße nämlich, in dem Eschatologie von der temporalen und anderen konkreten Verzauberungen befreit wird, die der fixierte Blick auf die bevorstehende magna commutatio hervorruft, in dem Maße wird der Vorwurf der Antipolitik entkräftet. Wenn keiner den Tag noch die Stunde der Wiederkunft Christi und andere konkrete Pläne der göttlichen Weltregierung kennt, muss die Sorge um die Selbsterhaltung, die Sorge um die Polis und den Staat weitergehen. Das temporal-konkrete Element in der Augustinischen Eschatologie ist sein Zeitbezug, der Blick auf den Niedergang des römischen Imperiums und seine Applikation des „Tausendjährigen Reiches“ auf die Kirche. In diesen Punkten hat die Kritik ihr fundamentum in re. Dass auch für die Wiedertäufer Bockelsohn, Knipperdolling und verwandte Seelen der Bischof von Hippo ein Kirchenvater gewesen ist, dafür kann er freilich nichts. Inzwischen blickt das Christentum auf eine 2000jährige Geschichte zurück. Es hat zwar nie aufgehört, von der Wiederkunft Christi zu sprechen und auf sie zu blicken, es empfiehlt aber schon lange nicht mehr, deswegen die Sorge um das tägliche Brot, um „Brot für die Welt“, fahren zu lassen. Im Gegenteil, die Arbeit an der Verbesserung der Lebensbedingungen, an der Gerechtigkeit für die Armen und andere diakonische Anstrengungen, prägen das Bild zumindest der westlichen Christenheit. Es gibt auch eine andere Wirkungsgeschichte der Lehre von den "Zwei Reichen". Dass sie überhaupt getrennt sind, gehört zum wertvollsten Erbe des alttestamentarischen Monotheismus. Das Wichtigste aber: Vom Beginn der biblischen Aufklärung im Alten Testament an finden wir einen anderen Begriff von Eschatologie. Arbeit der Zeit Ist es aber überhaupt erlaubt, von einer Eschatologie zu sprechen, die nicht konkret ist, bei der der Zeitfaktor keine oder eine andere, weniger dramatische Rolle spielt? Es kann auch bei einer geschichtlichen Religion wie der biblischen nicht darum gehen, sie radikal zu enttemporalisieren. Nur eine pathologische Temporalisierung führt zu einer konkreten Eschatologie, die in Antipolitik mündet. Sie ist, wie Peterson gezeigt hat, auch theologisch übergriffig und verletzt den eschatologischen Vorbehalt. In sehr grundlegender Weise ist die Arbeit an der Zeit ist sogar ein, ja das zentrale Movens biblischer Theologie. Ihre Großerzählung spannt einen großen Bogen von Alpha bis Omega. Die Zeit hat einen Anfang und ein Ende. Gott ist außerhalb der Zeit, er ist der Herr der Zeit. Wenn von Gott die Rede ist, wird Zeit aufgehoben und in dieser Hinsicht negiert. Exakt hier ist die Hoffnung der Gläubigen begründet, das Blumenberg-Dilemma, den Hiat von Lebenszeit und Weltzeit zu entdramatisieren. Die Hoffnung zielt auf nichts weniger als auf die reale Überwindung von Endlichkeit. Hermann Schrödter sagt: "Unter `Religion` verstehen wir die Gesamtheit der Erscheinungen, in denen Menschen das Bewusstsein der radikalen Endlichkeit ihrer Existenz und deren reale Überwindung ausdrücken" (Die Religion der Religionspädagogik, Zürich, 1975). Für die Negation der Zeit ist ein Begriff gefunden worden, dessen überirdische Strenge kaum mehr gehört wird, weil er im metaphorischen Gebrauch allzu geläufig geworden ist: Ewigkeit. Dabei ist streng zu unterscheiden zwischen einem alltagssprachlichen Gebrauch des Begriffs, der auf die unübersichtlich lange Zerdehnung der Zeit abzielt, und der ursprünglich theologischen Bedeutung. Der biblische Begriff von Ewigkeit meint etwas anderes, nämlich nichts weniger als die Aufhebung der Zeit. Das Beispiel Hitler hat gezeigt, wie es sich auswirken kann, wenn jemand mit Blick auf sein bevorstehendes Ende meint, auf ein christliches Verständnis von negierter Zeit, Ewigkeit also, verzichten zu müssen. Die Negation der Zeit Für Immanuel Kant sind Raum und Zeit „reine Anschauungsformen“. Sie sind a priori, d.h. „immer schon“, sie sind für unsere Vorstellungskraft und unser Bewusstsein nicht hintergehbar. Niemand kann sich im Ernst vorstellen, wie es wäre, wenn es keine Zeit gäbe. Die Fähigkeit der menschlichen Vernunft, mit der Zeit umzugehen, kann zu ihrem ursprünglichen Staunen über sich selbst Anlass geben. Sie ist nämlich durchaus in der Lage, ein Konzept der Abwesenheit von Zeit zu entwickeln, obwohl sie sich davon keine Anschauung (mit Kant gesprochen) verschaffen kann, und für diese Abwesenheit der Zeit sogar einen Begriff zu finden, nämlich Ewigkeit. Es ist in der Tat erstaunlich, dass die menschliche Vernunft generell in der Lage ist, mit Hilfe ihrer Sprache Konstrukte zu formulieren, die nicht anschaulich sind. Niemand kann sich einen n-dimensionalen Raum vorstellen, dennoch arbeitet die Mathematik mit solchen unanschaulichen Formalsystemen. Die Relativitätstheorie Albert Einsteins operiert mit Gravitations- und Zeitverhältnissen, die in der Newton’schen Physik und der Euklidischen Geometrie nicht vorkommen. Sie sind zunächst nicht anschaulich, wurden aber im Eddington-Experiment empirisch bestätigt. Arthur Stanley Eddington nutzte die totale Sonnenfinsternis vom 29. Mai 1919 zu einem Experiment, in dem gezeigt werden konnte, dass die Anziehungskraft der Sonne das Sternenlicht, das an ihr vorbei streifte, ablenkte. Albert Einstein hatte diese Ablenkung in einer Publikation von 1911 im Rahmen seiner allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt. Diese empirische Bestätigung einer unanschaulichen Theorie ändert unser Verständis des Verhältnisses von menschlicher Erkenntnis und Wirklichkeit. Für unsere Erkenntnistheorie bedeutet das, dass die Realität größer ist, als die von Kant angegebenen Koordinaten der reinen Anschauungsformen von Raum und Zeit zunächst vermuten lassen. Dass er sie als solche formuliert und als Bestimmungsgrößen für das Produkt unserer Erkenntnisprozesse angegeben hat, ist, eine wichtige Voraussetzung für die Theorie Einsteins. Erst wenn die Grenzen markiert sind, können sie bewusst überschritten werden. Wenn der Evangelist Johannes in zitierender Anspielung auf das erste Wort der hebräischen Bibel „Bereschit“ vom „Anfang“ spricht, dann benutzt er einen Grenzbegriff der Zeit. Er spricht vom absoluten Anfang, vom Beginn des Zeitstrahls. Alle Anfänge in der Zeit könnten auf dem Zeitstrahl abgetragen werden. Der Anfang, von dem Johannes spricht, ist dagegen der singuläre Grenzbegriff, mit dem Zeit überhaupt konstituiert wird. Unsere Sprache scheint zunächst überhaupt nicht geeignet, das Außerhalb der Zeit grammatisch angemessen wiederzugeben. Wenn wir den Übergang von dem Zustand außerhalb oder vor der Zeit ansprechen wollen, müssen wir das Wort „vor“, also eine eindeutig temporale Präposition benutzen. Wenn Gott der Schöpfer ist, der den Übergang vom Nichts zum Sein geschaffen hat, dann ist seine Art zu sein, deutlich von allen anderen empirischen Realitäten zu unterscheiden. Gott ist überzeitlich. Wenn es ihn gibt, gibt es ein Außerhalb der Zeit, dann gibt es Ewigkeit. Einzig durch Negation können wir ausdrücken, was gemeint ist. Negation scheint, wenn es um Gott geht, den Grund des Seins, der nicht mit falschen Konkretionen dingfest gemacht werden kann, die einzig angemessene Möglichkeit zu sein, auf ihn sprachlich zu reagieren. Es bleibt das Pensum übrig, diese Art der Negation, die auf Gott, die ontologische Singularität zielt, von Negationen zu unterscheiden, die auf Nichtexistenz plädieren. Im negierenden Sprechakt der Bestreitung ist gerade nicht eine nihilistische Abwesenheit von Sinn und Sein intendiert. Diese Negation ist vielmehr eine Abstoßung vom Ist-Zustand des Seienden, für die der nicht empirische Gott der Bibel das Widerlager ist. Die biblischen Erzählungen sprengen den Käfig von Raum und Zeit. Sie helfen sich mit der Installation von Paradoxien. Wenn von Gott erzählt wird, etwa in der Offenbarungsgeschichte von Exodus 3, dann wird die Erzählung so organisiert, dass die Zeit aufgehoben bzw. negiert wird. Dies wird sehr anschaulich im Beispiel vom brennenden und nicht verbrennenden Dornbusch. Die Bildkraft des Phänomens Feuer bezieht ihre Wirkung von der schnellen Transformation der Energie und von der Suggessionskraft, die von einem solchen Geschehen ausgeht. Alle Materie ist einem entropischen Prozess unterworfen, der in seiner Langsamkeit meist nicht bemerkt wird und nicht zu sehen ist. Anders beim Feuer. Hier kann man zusehen, wie sich Energie in Licht, Hitze und Asche zerlegt. Es gibt wenige Prozesse, an denen die Taten der Zeit so sinnenfällig abgelesen werden können. Und ausgerechnet von diesem schnellen Transformationsprozess wird ausgesagt, dass er auf Dauer gestellt, d.h. der Zeit nicht unterworfen sei: Der Dornbusch brennt und verbrennt nicht. Dem Erzähler war es darum zu tun, den Zeitfaktor aufzuheben. Neben der reinen Anschauungsform der Zeit wird in Ex. 3 auch die reine Anschauungsform des Raumes aus der Normalität herausgenommen. Die Stimme aus dem Dornbusch fordert den Mose auf, seine Schuhe auszuziehen, denn der Ort sei ein besonderer, ein heiliger Boden, der gleichsam aus dem üblichen Boden der Tatsachen herausgesprengt ist. Der Gott, der kein Ding in der Welt ist, sondern ihr Schöpfer, verträgt auch keinen Namen, der wie andere Namen dazu geeignet ist, Personen oder Sachen oder Dinge in der Welt zu unterscheiden. Auch semantisch gesehen, ist das geniale Tetragramm JHWH ein radikales Hapax, etwas, was nur einmal vorkommen kann. Eine Person, die als Name „Ich-bin-da“ anbietet, kann es nur einmal geben. In dieser Formulierung radikalisiert sich der Monotheismus grammatisch und semantisch. Ein von falschen Konkretionen und Pathologien gereinigtes Verständnis von Eschatologie bezieht sich auf das Zeitgerüst des Monotheismus, wie es im alten Israel entstanden war. Die Eschata sind hier nicht konkret temporal zu verstehen, also nicht im Sinne eines Zeitenendes, nicht im Sinne des „jüngsten Tages“ und einer commutatio magna, auch nicht im Sinne einer konkret lesbaren kalendarischen Symptomatik für die göttliche Weltregierung, sondern im Sinne einer höchsten Instanz. Gott selbst ist der Höchste. Er ist ein Eschaton. Der Begriff der Eschatologie hat durch Erik Peterson für die Theologie des 20. Jh. eine neue und herausragende Bedeutung gewonnen. Seine Prägung vom „eschatologischen Vorbehalt“ ist von vielen namhaften Theologen wie etwa Johann Baptist Metz aufgenommen und weiterentwickelt worden. In diesem Sprachgebrauch spielt die temporale Bedeutung im engeren konkreten Sinn, also der Blick auf das Ende aller Zeit und den jüngsten Tag, ebenso wie andere konkreten Usurpationen des Göttlichen kaum mehr eine Rolle (Zum Begriff des usurpatorischen Monotheismus vgl. E.N. Die Zukunft des Monotheismus, Seite 831). Wenn wir dem Kirchenvater Augustinus den leisen Vorwurf machen, seine Lehre von den zwei Reichen sei eine nachlaufende Theorie, dann gilt dies von den anderen spätantiken und patristischen Autoren, mit denen die Gelehrsamkeit Petersons uns bekannt macht, in noch höherem Maße. Nachlaufende Theorien haben etwas Affirmatives. Sie liefern die Erklärung, oft auch die Legitimation für das, was schon geschehen ist und rechtfertigen das Produkt, die herrschenden Verhältnisse. Über die offensichtlichen Kausalzusammenhänge hinaus, behaupten sie die tiefen Gründe zu kennen und den göttlichen Ratschluss entziffert zu haben. Sie liefern die Gründe, warum alles so kommen musste und so ist, wie es ist. Nachlaufende Theorie ist durch den Übergriff auf göttliche Providenz verdorben. Wer die Wege Gottes zu kennen vorgibt, greift nach der im Paradies verbotenen Frucht. In allem, was geschehen ist, die Maßregeln und Entschlüsse eines monotheistisch-monarchischen Weltregenten zu erkennen, ist die Ursünde der Frommen: Der Narr sitzt auf dem Königsthron. Aber es sind keineswegs nur die Frommen, die der Versuchung einer übergriffig-theologischen Geschichtsdeutung erliegen. Ändern sich die Verhältnisse, dann ändert sich die Religion, die Metaphysik und alle Theorie. In der Tat ist die Versuchung groß, im Ablauf der Geschichte die Bestätigung der theoretischen Überzeugungen ablesen zu können. Man muss nicht bis Hegel warten, der im preußischen Staat ein mehr oder weniger notwendiges Ergebnis des Geschichtsverlaufs sah, oder bis zu seinem Schüler Karl Marx, der im Bewusstsein, die Dialektik der Geschichte nicht nur begreifen, sondern auch beherrschen zu können, eine verhängnisvolle Partitur für totalitäre Täter geschrieben hat, um dies bestätigt zu finden. Erik Petersons stärkstes Beispiel ist Eusebius, der in Augustus und seiner Pax Augustana einen Zusammenhang zwischen Monotheismus und Monarchie herstellt. „Als dann aber der Herr und Heiland erschien und zugleich mit seiner Ankunft Augustus als der erste unter den Römern über die Nationalitäten Herr wurde, da löste sich die pluralistische Vielherrschaft auf, und Friede erfasste die ganze Erde.“ (Euseb VII 3, 13) So wie die vielen Nationen und Reiche in der Monarchie aufgehen, so verschwinden die polytheistischen Verhältnisse im Monotheismus. Zum Imperium Romanum, der Monarchie, die die Nationalitäten aufgelöst hatte, gehört für Euseb metaphysisch der Monotheismus. Was prinzipiell mit Augustus angefangen hatte, das war für ihn in der Gegenwart unter Konstantin und Theodosius Wirklichkeit geworden. Als Konstantin den Licinius besiegt hatte, war die politische Monarchie wiederhergestellt und damit sogleich die göttliche Monarchie gesichert. (Euseb, Leben Konstantins II, 19) Peterson zeigt auf, dass die Gedanken des Eusebius eine „ungeheure geschichtliche Wirkung“ gehabt haben. Als theologischer Geschichtsschreiber ist er für eine Tradition der Ermächtigungstheologie weitaus bedeutender als Augustinus. Petersons Begriff von politischer Theologie ist die Zusammenfassung seiner weitläufigen Forschungen, in denen er aufzeigt, wie anfällig die Theologien im Sinne nachlaufender Theorie gegenüber der Versuchung sind, im Geschichtsverlauf die providentiellen Taten Gottes wiederzuerkennen. Theologie wird so zur Ermächtigungstheorie, auch dann, wenn sie wie Augustinus den Niedergang des Imperiums theoretisch kompensiert, weil er die Kirche ermächtigen will. Freilich will er sie nicht – dies betont Sternberger nicht – als Civitas terrena ermächtigen. Peterson will aufzeigen, wie sich die jeweiligen Herrschaftsverhältnisse auf die Theologien auswirken. Seine Untersuchungen zielen auf die Reinigung der Theologie von den kontingenten Rahmenbedingungen der Zeiten, in denen sie jeweils entstanden sind. Auf diese Weise nähert er sich einer Wendemarke an. Nach der gründlichen Untersuchung, wie sich die jeweiligen politischen Verhältnisse auf die Theologien auswirken, kann dann die Frage anders herum gestellt werden: Statt zu fragen: Wie wirken sich die jeweiligen Herrschaftsverhältnisse auf die Theologien aus? dreht sich die Fragerichtung um 180 Grad. Nun fragen wir: Wie wirkt sich der Glutkern des Monotheismus, der ursprüngliche Qualitätssprung der biblischen Aufklärung auf die Politik aus? Die eschatologische Vorenthaltung Auch wenn die Begriffsprägung vom „eschatologischen Vorbehalt“ inzwischen fast ein Schlagwort geworden ist, verdient sie eine nähere Betrachtung. Der deutsche Sprachgebrauch verwendet den Begriff „Vorbehalt“ in der Regel im Sinne eines Konditionals. Wenn etwa in einer Versteigerung ein Gegenstand „unter Vorbehalt“ zugeschlagen wird, dann könnte die Pharaphase lauten: „Unter der Bedingung, dass der Besitzer des Objekts mit der gebotenen Summe einverstanden ist.“ Die Semantik, die sich aus diesem Gebrauch des Begriffs ergibt, ist im theologischen Zusammenhang eher nicht intendiert. Eine andere Verwendung des Begriffs zeigt dieses Beispiel: „So lange der Fahrschüler alles richtig macht, greift der Fahrlehrer nicht ein. Er behält sich aber vor einzugreifen, falls eine Verkehrsregel verletzt wird.“ Der theologisch intendierte Sinn wäre hier schon eher getroffen. Wenn ein Christ im Vater Unser betet: „Dein Wille geschehe“ und folglich bestrebt ist, seinen eigenen Willen am Willen Gottes auszurichten, wird er zunächst bei willentlicher Steuerung seines Verhaltens und seiner Taten glauben, dass er richtig handelt. Er muss aber den Vorbehalt machen, dass Gottes Wille unter Umständen in eine ganz andere Richtung zeigen könnte. Im Rückblick auf seine Irrwege muss der Christ oft erkennen: Was ich für den Willen Gottes gehalten habe, war in Wahrheit mein eigener. In diesem Sinn ist wohl die Prägung „eschatologischer Vorbehalt“ gemeint. Trotzdem ist dieser Begriff undeutlich. Daher ziehe ich es vor, im Folgenden von einer eschatologischen Vorenthaltung zu reden, um dann die politischen Folgen zu betrachten. Die Differenz zwischen dem eschatologischen, d.h. göttlichen Willen und dem Willen eines Menschen tritt erst mit dem Monotheismus in ihrer prinzipiellen Unhintergehbarkeit auf. Hier liegt auch die Wurzel der bedeutenden politischen Wirkungsgeschichte des Monotheismus. Die aktuelle Monotheismusdebatte Der Monotheismus ist etwa seit einem Jahrzehnt in das Zentrum der religionswissenschaftlichen, theologischen und politischen Debatten geraten. Im Jahr 1999 ist Jan Assmanns Buch Mose der Ägypter erschienen. Es hat im angelsächsischen und deutschen Sprachraum eine beachtliche Wirkungsgeschichte gehabt, die noch nicht zu Ende gegangen ist. Es stellt eine ideenpolitische Intervention dar, die einen interessanten Hintergrund hat. Zunächst einmal kann die zeitdiagnostische Feststellung getroffen werden, dass der Singularitätsanspruch des Monotheismus, eine wahre Religion zu sein, wahrer als andere Religionen, von denen sie sich absetzt, für die Zeitgenossen eine grelle Provokation darstellt. Es wird nur wenige lebende Menschen geben, die nicht in religiös pluralistischen Verhältnissen leben. Das Regiment des „Plurals der Moderne“ (Peter L. Berger Der Zwang zur Häresie, 1992) ist der Regelfall. Vor allem in der westlichen Hemisphäre finden sich Intellektuelle, halbgebildete und ungebildete, kaum je einmal in einer Situation vor, in der sie es nur mit einer Religion zu tun haben. In Redaktionen, Lehrerzimmern und beim Smalltalk auf der Terrasse wird das Bekenntnis zum Pluralismus im Sinne eines äquidistanten schiedlich-friedlichen Nebeneinanders religiöser Überzeugungen und Vorlieben immer die Tonart angeben. Wohlmeinende Stiftungen wie die Quandt-Stiftung fördern den „Trialog der Religionen“ und meinen zunächst einmal die monotheistischen. Diese müssen entschärft werden, weil sie als besonders gefährlich gelten. Hans Küngs „Stiftung Weltethos“ betrachtet den kleinsten gemeinsamen Nenner, ein weiterer, offensichtlich folgenloser Entschärfungsversuch. Während bis zum Kollaps des machtgestützten Marxismus im Jahre 1989 über Religion zu sprechen kaum der Mühe wert schien, da sie im stetigen Sinkflug der Säkularisierung ihrem von der Hegelschen Linken vorhergesagten Verschwinden entgegensah, ist das Thema Religion und Religionen vor allem dadurch für den intellektuellen Mainstream wieder aktuell geworden, dass die marxistische Prognose vom automatischen Verschwinden der Religion vor allem durch das Wiedererstarken des Islam widerlegt wurde. Weit über marxistische Kreise hinaus galten noch in den frühen 90er Jahren in den szientistischen und technisch-kapitalistischen Milieus Religion und Moderne als inkompatibel. Dann schnellten die Zahlen der Studierenden im Fach Religionswissenschaft nach oben. Vergleichende Religionswissenschaft Traditionell beansprucht die Religionsphänomenologie eine neutrale Beobachterposition. Es ist ein erkenntnistheoretischer Sonderfall, dass das beobachtete Objekt der Wissenschaft, der Mensch und seine Gesellschaft, durch ein Subjekt inspiziert, studiert und damit auf Abstand gehalten wird. Anders als bei allen anderen Gegenständen der wissenschaftlichen Untersuchung, hat man es hier nicht mit einem binären Subjekt-Objekt Verhältnis zu tun. Die Erforschung des Menschenzoos durch Menschen ist grundsätzlich selbstreferentiell. Das beobachtende Subjekt erscheint selbst in der Menge der beobachteten Objekte. Die von Hegel beschriebene Konstellation, dass das Subjekt sich verdoppelt, indem es sich selbst über die Schulter schaut, zeigt die Koinzidenz von Subjekt und Objekt allenfalls als Grenzproblem. Im Falle der Religionswissenschaft ist diese selbstreferentielle Struktur systematisch ausgeblendet. Ihr geht es gerade nicht um Selbstbeobachtung, sondern um deren Vermeidung. Bevor es nötig wird, die Frage, ob es sinnvoll und möglich ist, am Ende selbst eine Religion zu haben, ernsthaft zu stellen, müssen ja erst im bunten Nebeneinander alle Optionen untersucht werden. Eine Haltung ähnlich der von Eltern, die eine religiöse Erziehung unterlassen, um ihrem Kind dadurch die Möglichkeit zu verschaffen, das es sich „später einmal selbst entscheiden kann“. In dem Maße, in dem die Beobachterposition im Geschäft der Wissenschaft habituell wird, kann darauf verzichtet werden, sich mit einem der beobachteten Religionsphänomene selbst in einen engen oder gar bekenntnishaften Zusammenhang zu bringen. Hier kann noch einmal unterschieden werden zwischen einem Beobachter, der für sich einen inneren Wettbewerb der Religionen organisiert, alle oder viele inspiziert, um dann die beste zu wählen, der also eine Entscheidung bloß vertagt und einem Beobachter, der beobachtet, um sich nicht entscheiden zu müssen. Er bleibt dauerhaft beschäftigt. Letztere Position scheint attraktiv, denn die konkurrierenden Wahrheitsansprüche der Religionen kommen sich derart in die Quere, dass sie sich gegenseitig zu widerlegen und damit als ernsthafte Kandidaten zu erledigen scheinen. Die Studienreise mit dem Besichtigungsprogramm von Religionen und Kulturen wird unternommen, um den Grundverdacht zu bestätigen, keine der voneinander so verschiedenen und untereinander so widersprüchlichen Religionen, komme ernsthaft in Frage. Was es im Plural der Widersprüche gibt, muss wohl alles Mist sein. Eine andere Praxis hofft vielleicht darauf, sich nach eingehender Inspektion aus jeder Religion das Beste, d. h. in der Regel "das für mich Nützliche", herauszupicken. In dieser Praxis wird deutlich, dass Relativismus und Individualismus zwei Seiten ein und derselben Medaille sind. Religionslehrer berichten, dass sie keinen Satz von Jugendlichen so häufig hören wie: „Das muss jeder für sich selbst entscheiden!“ Der vorherrschende Mentalitätstyp am Beginn des 21. Jahrhunderts neigt offensichtlich dazu, sich beim Thema Religion auf die Beobachterperspektive zu beschränken. Die steile Aufwärtskurve von Studierenden der Religionswissenschaften ist hierfür ein Indiz. Die prästabilisierte Beobachterperspektive ist eine Meta-Perspektive und hat etwas Divinatorisches. Wie ein Unsterblicher, der dem Zwang, eigene Lebensentscheidungen zu treffen, enthoben ist, positioniert sich der Beobachter als bekennender Nichtbekenner. Das singuläre Subjekt wird zum Gegenüber des religiösen Plurals der Moderne. Dass den Beobachter, der in Wahrheit keineswegs unsterblich und dessen Lebenszeit keineswegs unendlich ist, gleichsam nach Feierabend ein Bewusstsein radikaler Endlichkeit erwischt, ist ziemlich sicher, ja geradezu unvermeidlich. Hier ist Hermann Schroedters Definition von Religion als „Bewusstsein radikaler Endlichkeit und deren reale Überwindung“ einschlägig. Sie ist auf den ersten Blick unscheinbar, auf den zweiten aber sehr leistungsfähig. Niemand hat die Wahl, die Frage nach der eigenen Endlichkeit zu stellen oder nicht. Diese Frage stellt sich von selbst. So schlicht sie auch daherkommt, so gewichtig ist sie. Sie ist Grundkoordinate menschlicher Existenz. Nur wer sich für unsterblich hält, muss sich die Frage nach seiner Endlichkeit nicht stellen. Hans Blumenberg hat in seinem schon erwähnten Buch Lebenszeit und Weltzeit die philosophische Wucht und historische Vielfalt dieser Fragestellung dramatisch vor Augen geführt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Frage nach der Inkongruenz von Lebenszeit und Weltzeit in ihrer Dramatik immer aktuell vor Augen steht. Aber je näher das höchstwahrscheinliche Ende rückt, umso dringlicher wird das Problem. Wie tief auch der Blick in den Brunnen der Vergangenheit sich einbohrt und wie scharf die Konturen beim Blick in eine je ferner desto undeutlichere Zukunft sich abzeichnen, das Bewusstsein kann sich vom Urknall bis zum Wärmetod der Welt oder - biblisch gesprochen von Alpha bis Omega in einem riesigen Bogen über den Zeitstrahl wölben - die eigene Lebenszeit ist dagegen verschwindend gering, eine gemessene Frist, die unweigerlich abläuft. Wie freilich die Antwort auf das unvermeidliche Bewusstsein der eigenen Endlichkeit ausfällt, ist eine ganz andere Frage. Sie kann agnostisch, affirmativ, materialistisch oder atheistisch beantwortet werden aber auch dadurch, dass der Gläubige auf die wie auch immer geartete Überwindung der Todesgrenze setzt. Mit Schrödter und Blumenberg lässt sich also die Frage, auf die die Religionen eine Antwort geben, als anthropologisches Proprium behaupten. In der Soziologie gibt es nur noch wenige Verteidiger der älteren Säkularisierungsthese, die von einem Verschwinden der Religion ausgeht (Hans Joas, Braucht der Mensch Religion. Über Erfahrungen der Selbsttranszendenz, Freiburg 2004). Unter dem Regiment eines Plurals der Moderne ist stattdessen von der „Wiederkehr der Religion“ die Rede. Diese zeitgeistdiagnostische Formel muss aber nachjustiert werden. Sie trifft allenfalls auf den Islam zu, eine Religion, die zwar nie tot, aber in einer Phase westlicher Vorherrschaft im spätkolonialen Zeitalter auf dem Rückzug war. Durch den Ajatollah Khomeini und den Ölreichtum im Nahen Osten beflügelt, ist der Islam in der Tat wiedergekehrt und befindet sich auf einem selbstbewussten Vormarsch. Für den dominierenden Mentalitätstyp des westlichen intellektuellen mainstreams kann von der Wiederkehr der Religionen nur im Plural gesprochen werden. Wenn die Frage, auf welche die Religionen eine Antwort geben, ein anthropologisches Proprium ist, dann sind für ihn alle Religionen gleich legitim. Der religionswissenschaftliche Blick geht von einer prinzipiellen Äquidistanz aus und – dies ist ein entscheidender Punkt – verlangt den Verzicht auf einen singulären Wahrheitsanspruch. Auf den ersten Blick scheint dieser singuläre Wahrheitsanspruch die Quelle aller religiös motivierten Gewalt zu sein, so dass alle, die am Frieden interessiert sind, in der Konsequenz von der gleichen Legitimität aller Religionen ausgehen müssten. Es ist also klar ersichtlich, dass Religion hier funktional aus der Beobachterperspektive betrachtet, also daraufhin untersucht wird, wie förderlich oder wie schädlich sie für das friedliche Zusammenleben der Menschen ist. Auf diesem Hintergrund wird der weltweite Erfolg von Jan Asmanns Mose, der Ägypter von 1999 verständlich. Assmanns Link: Monotheismus erzeugt Gewalt Assmann rekonstruiert die Entstehungsgeschichte des Monotheismus mit Rückblick auf die Phase von Amenophis IV. (Echnaton), die er ähnlich wie schon Sigmund Freud als Vorgeschichte des ethnozentrischen Monotheismus Israels rekonstruiert. Der große zeitliche Abstand und das Fehlen einer direkten Überlieferung werden mit Hilfe einer von seiner Frau Aleida Assmann und ihm lancierten Methodologie der Gedächtnisgeschichte überwunden. Die Gedächtnisgeschichte ist in der Lage, abgerissene Traditionsverbindungen unterirdisch verlaufen zu lassen, sie später wieder ans Tageslicht treten zu lassen, um sie dann aufzugreifen. Der heliozentrische Monotheismus von Tell el Amarna war Episode geblieben, weil nach dem Tode Echnatons die Priesterschaft den status quo ante wieder hergestellt hatte. Die monotheistische Episode verfällt der damnatio memoriae, ihre Spuren werden getilgt. Assmann sucht und findet Symptome für den unterirdischen Verlauf des monotheistischen Traditionsstroms, der dann bei Mose wieder zu Tage tritt und von diesem und seiner Ethnie, den Hebräern, in exklusiven Besitz genommen wird. Unabhängig von der Haltbarkeit dieser kühnen Konstruktion konzentriert sich aber das Interesse auf die Kernbehauptung des Buches, dass mit dem Wahrheitsanspruch der eigenen Religion und der damit verbundenen automatischen Verwerfung der anderen Religion, also mit der binären Codierung wahr-falsch diese neue Religion erstmals in der Religionsgeschichte zur Quelle der Gewalt geworden sei. Die Codierung wahr-falsch und die Codierung Freund-Feind werden übereinander geblendet. In der Tat bietet das Alte Testament, vor allem im Buch Josua, aber auch an vielen anderen Stellen genügend Beispiele für religiös motivierte Gewalt. Dagegen setzt Assmann das Bild eines friedlichen Nebeneinanders der polytheistischen Religionen, die alle auf einen exklusiven Wahrheitsanspruch verzichten. In der Tat war der Kulturkreis, der sich in den Flussoasen Nordafrikas und der arabischen Halbinsel sowie rund um das Mittelmeer entwickelt hatte, polytheistisch geprägt. Im Grunde handelte es sich bei wechselnden Bezeichnungen der Gottheiten und unterschiedlichen Kultformen um eine einzige Großreligion, die sich in vielen Dialekten artikulierte. Überall gab es Götter, die zwar unterschiedliche Namen trugen, aber in ihrer funktionalen Zuordnung mühelos wieder erkannt werden konnten. Zeus war Jupiter, Aphrodite hieß Venus, etc. Überall gab es auch lokale Gottheiten, die als Patroninnen oder Patrone des Gemeinwesens oder als Stadtgottheit wie eine Projektion des kollektiven Egos fungierten. Wer wie das Handelsvolk der Griechen, die religiösen Landschaften in ihrer unterschiedlichen Ähnlichkeit bereiste, konnte überall Äquivalente und Entsprechungen wiedererkennen. So lesen sich die berühmten Fragmente des Xenophanes zunächst einmal affirmativ: „Die Äthiopier behaupten, ihre Götter seien stumpfnasig und schwarz, die Thraker blauäugig und blond." (Clemens von Alexandia, Strom. VII 22,1 Diels-Krantz 21, B 16). "Wenn aber die Rinder und Pferde und Löwen Hände hätten und mit diesen Händen malen könnten und Bildwerke schaffen wie Menschen, so würden die Pferde die Götter abbilden und malen in der Gestalt von Pferden, die Rinder in der von Rindern, und sie würden sich solche Statuen meißeln, ihrer eigenen Körpergestalt entsprechend." (Clemens von Alexandria, Strom V 109,3 Diels-Krantz 21 B 15). Die Übersetzbarkeit der Gottheiten von dem einen in einen anderen Dialekt ist im Polytheismus der alten Welt vielfach zu belegen. Assmann fasst zusammen: "In der hellenistischen Aufklärung heißt es: `Alle Götter sind eins`". Die römische Praxis, die Götter einer frisch eroberten neuen Provinz gleich mit zu erobern und sie ins Pantheon einzustellen, zeigt, dass wir es in der Tat mit einer Großreligion zu tun haben, die in viele miteinander verwandte Ausprägungen zerfällt. Jede einzelne von ihnen verhält sich wie ein Dialekt zu einer Hochsprache. Die religionsgeschichtliche Revolution, die sich mit dem Namen Mose bis heute verbindet, kommt einem religiösen Quantensprung gleich. Der Gott Israels will nicht verwechselt werden. Diesen Punkt streicht Assmann besonders heraus: „Die Religion, um die es hier geht, beruht auf dem Prinzip, sich von den andren Religionen abzugrenzen, sich von den anderen Völkern zu unterscheiden, seinen Gott vor jeder Verwechslung mit anderen Göttern zu bewahren und ihm absolute Treue zu halten.“ Assmann richtet seine Aufmerksamkeit auf den Gewaltaspekt dieser Abgrenzung. Dabei kann er Gott, den strafend Handelnden, selbst als einen rasend zornigen Gewaltherrscher anführen, der zweimal entschlossen war, das ganze Volk zu vernichten und von Mose nur mühsam davon abgebracht wird. Das eine Mal, beim Tanz um das Goldene Kalb, gibt sich Gott mit der Abschlachtung von 3000 Mann zufrieden, im zweiten Fall, der Kundschafter-Episode „verwandelt er sein Todesurteil in lebenslänglich und lässt die schuldig gewordene Väter-Generation so lange in der Wüste herumirren, bis sie gestorben und die Kindergeneration an ihre Stelle getreten ist, die in das gelobte Land einziehen darf". Ein anderes Mal schickt Gott eine Pest, an der 24000 Mann starben, weil man mit den Midianitern gefeiert und Fleisch gegessen hatte. Ein zürnender Gott – so Assmann – sei zunächst religionsgeschichtlich nichts Neues. Dergleichen finde man bei polytheistischen Gottheiten auch. Etwas prinzipiell Neues sieht er allerdings in dem Freund-Feind-Denken, das mit dem Monotheismus in die Welt gekommen sei. Dieses Freund-Feind-Denken greift Platz, „wenn ich nicht entschlossen gegen Gottes Feinde vorgehe, sondern ruhig mit ansehe, wie das Volk um das Goldene Kalb tanzt, wie Zimri mit der Midianiterin schläft, die ihn zum Essen von Opferfleisch verführt hatte, wenn ich tatenlos dulde, dass eine dänische Zeitung Karikaturen des Propheten abdruckt oder der Papst einen den Propheten beleidigenden Text zitiert und mir Gottes beleidigten Zorn nicht zu eigen mache und für seine gekränkte Ehre eintrete, dann ziehe ich mir selbst den Zorn Gottes auf den Hals.“ (Assman a.a,O.) Hier wird deutlich, dass es Assmann nicht um eine historisch-antiquarische Fragestellung geht, sondern darum, die Wurzeln religiös motivierter Gewalt von heute freizulegen. Hier spricht kein Gelehrter, dessen zünftiges Interesse dem alten Ägypten gilt, sondern ein Ideenpolitiker, der antiquarisches Material für eine aktuelle Intervention zusammenstellt. Charakteristisch und prägend für seine Theorie ist die Parallelisierung zweier binärer Entgegensetzungen. Die erste ist die zwischen Freund und Feind. Die zweite die von wahr und falsch. Er definiert religiöse Gewalt folgendermaßen: „Darunter verstehe ich eine Gewalt, die zwischen Freund und Feind in einem religiösen Sinne unterscheidet, der sich letztendlich aus der Unterscheidung zwischen wahr und falsch ergibt. Diese Unterscheidung aber hat erstmals der Monotheismus getroffen.“ Es hat keinen Sinn, Jan Assmann zu bestreiten, dass es religiös motivierte Gewalt gegeben hat und gibt. Die drastischen Beispiele, die er aus der Geschichte des alten Israel anführt, vor allem im Zusammenhang mit seiner Landnahme, aber auch in seinem Abgrenzungsbedürfnis gegenüber den anderen Völkern mit ihren anderen Religionen, sind zu zahlreich. Auch in der folgenden Religionsgeschichte lassen sich zahllose grausame Beispiele finden, leider auch in der Gegenwart. Dies abzustreiten wäre absurd. Wir wollen auch auf die durchaus interessante empirische Überprüfung von Assmanns These verzichten, also die Untersuchung ob mit dem Auftreten des Monotheismus die Kriege zwischen Stämmen und Völkern signifikant zugenommen haben. Worüber sich – natürlich fern jeder Gewalt – zu streiten lohnt, ist aber, ob sich der Zusammenhang der beiden binären Strukturen als unauflöslich erweist und ein gleichsam zwingender und automatischer ist oder nicht, ob also die Entgegensetzung von Freund und Feind notwendig mit der Entgegensetzung von wahr und falsch verbunden sein muss, so wie es Assmann nahelegt. Von der Entkopplung der beiden binären Entgegensetzungen hängt viel ab. Wenn nämlich notwendigerweise der Gegensatz von wahr und falsch zu religiös motivierter Gewalt führte, dann läge die Konsequenz nahe, ihn schnellstens fallen zu lassen. Anders formuliert, wer religiös motivierte Gewalt beseitigen will, müsste auf jeden Wahrheitsanspruch verzichten. Assmann kann damit rechnen, das diese Konsequenz für ein Publikum höchst attraktiv ist, das ohnehin dabei ist, Wahrheitsansprüche zu verabschieden und im Plural der Moderne zu relativistischer Äquidistanz und zu einem individualistischen: „Das muss jeder für sich selbst entscheiden“ neigt. Die in Angelsachsen unausgesprochen geltende Regel, dass ein Mensch mit Manieren bei Tisch und in Gesellschaft nicht über Religion spricht, gewinnt auf einem Assmannschen Hintergrund ihre Plausibilität, denn ein Streit über Religion kann ausarten und zu Unerfreulichkeiten führen, am Ende gar zu Gewalt. Wer in Religionsdingen Wahrheitsfragen stellt, fällt aus der Rolle, er schafft ein politisches Gefahrenpotential. Es ist diese Perhorreszierung der Wahrheitsfrage, die Benedikt XVI. zu seiner Prägung von der „Diktatur des Relativismus“ veranlasst hat. Um nichts anderes handelt es sich nämlich, wenn es gleichsam verboten ist, Wahrheitsfragen zu stellen. Bevor dieses Verbot in Kraft tritt, muss freilich geprüft werden, was wir aufgeben, wenn wir aufhören Wahrheitsfragen zu stellen. Die Frage gewinnt also an Reiz, ob es nicht möglich ist, die beiden binären Entgegensetzungen zu entkoppeln. Die biblische Aufklärung Angesichts der Übersetzbarkeit von einem Götterdialekt in den anderen, gab es keine doktrinalen Gründe, eine Wahrheitsfrage zu stellen. Religiöse Dialekte im Sinne einer aut-aut-Alternative zu betrachten, wäre unsinnig. Sie stehen in einem et-et-Verhältnis zueinander. In der Tat ist im voll ausgebildeten Monotheismus ein et-et nicht mehr möglich. Die alttestamentliche Forschung hat uns schon lange darüber belehrt, dass der Monotheismus nicht von einem Tag auf den anderen auf der Bildfläche erschienen ist und sich als die deutliche Alternative präsentierte, die er in der Folge darstellte. Die vielen Geschichten des Fremdgehens, die etwa der Prophet Ezechiel in der gleichnishaften Übertragung auf das Geschlechterverhältnis dramatisiert - Israel ist die untreue Frau, die Unzucht mit den anderen Göttern treibt - repräsentieren einen Übergang, der sich über einige Jahrhunderte hingezogen haben dürfte. Gott kann nur eifersüchtig auf andere Götter bzw. die Götzen sein, solange diese existieren. Das Griechische kennt zwei verschiedene Ausdrücke für die Zahl Eins. Eins und nur Eins heißt Monos, Eins als Kopfstück einer Vielheit von Zahlen heißt Hen. Daher kann die alttestamentliche Forschung auch begrifflich zwischen dem ausgereiften Monotheismus, der den anderen Göttern die Existenz bestreitet und einer henotheistischen Anlaufphase unterscheiden. Auf etwas, dass es nicht gibt, muss kein ein und einziger Gott eifersüchtig sein. Jan Assmann bezieht sich mit Recht auf den ausgereiften Monotheismus als der religionsgeschichtlichen Supernova. Die Radikalität, mit der die Einzigkeit Gottes umkämpft wird und die in diesem Zusammenhang auftretenden Gewaltausbrüche mag bei näherem Zusehen nicht eine Auseinandersetzung zwischen Monotheismus und Polytheismus sondern zwischen einem ausgereiften Monotheismus und einem Henotheismus sein, für den Jahwe nur der höchste aller Götter und Konkurrent zu allen anderen gewesen sein mag. Im Verlauf der durch Mose der Ägypter ausgelösten Debatte hat Assmann klargestellt, dass ein Vergleich zwischen den friedlich polytheistischen Verhältnissen und der monotheistischen Entgegensetzung nicht als Aufruf einer Rückkehr zu diesen polytheistischen Verhältnissen verstanden werden kann. Odo Marquardts bei näherem Zusehen ironisches Lob des Polytheismus (Abschied von Prinzipiellen, Stuttgart, 1981) wäre missverstanden, wenn es als ernsthaftes Plädoyer für die Rückkehr zu polytheistischen Verhältnissen gelesen würde. Jan Assmann benutzt einen Ausdruck von Sigmund Freud, der auch schon im Zusammenhang mit seinem Der Mann Mose festgehalten hatte, dass der einmal erreichte „Fortschritt in der Geistigkeit“ nicht wieder preisgegeben werden könne (Jan Assmann, Die Mosaische Unterscheidung, München 2003, Seite 141). Dies nehme ich als zartes Stichwort für eine Gegenrechnung. Sie verdankt sich der Wahrheitsfrage. Dabei ist sorgfältig zwischen einer Frage, die der regulativen Idee der Wahrheit folgt und einem Anspruch auf Wahrheitsbesitz zu unterscheiden. Ohne die Fage nach der Wahrheit von Bewusstseinsinhalten und ihren kultischen Objektivationen kann die monotheistische Wende nicht gedacht werden. Nicht nur Xenophanes und andere Vorsokratiker melden Zweifel am naiven polytheistischen Götterglauben an. Ungefähr zeitgleich in der Sattelzeit ca. 450 bis 400 vor Chr. konturiert sich ein massiver aufklärerischer, d.h. in diesem Fall religionskritischer Schub. Der biblische Monotheismus ist eine Sekundärreligion, sie ist ohne die Kritik an der vorgefundenen polytheistischen Praxis und Theologie der Götter nicht zu denken. Daher sprechen wir von einer biblischen Aufklärung. Biblische Aufklärung und Eschatologische Gewaltenteilung Inzwischen ist es durchaus üblich, den Begriff Aufklärung in einem allgemeinen Sinn zu verwenden. Wir bezeichnen damit nicht mehr nur eine Epoche, das 18. Jh., das Siècle de Lumières, den „Illuminismo“ oder das "Age of Enlightenment" sondern generell einen Verstandesgebrauch, der Licht ins Dunkel bringt, sich mit vorhandenen Täuschungen und Selbsttäuschungen auseinandersetzt und falsche Erkenntnis durch richtige ersetzt. Kants berühmter Buchtitel Kritik der reinen Vernunft kann als eine Synonymisierung des Aufklärungsbegriffs gelesen werden. Der entfesselte Gefangene in Platons Höhle, der die Höhle verlässt und wieder zurückkehrt, um seinen Mitgefangenen die wahren Verhältnisse zu erklären, war ein Aufklärer. Wir sprechen auch von der vorsokratischen Aufklärung, für die unsere Xenophanes-Fragmente ein Beleg sind. Wer die Entstehungsgeschichte des Monotheismus anschaut, wird immer wieder auf den Grundgedanken der Kritik an den selbstgemachten Göttern stoßen. Sie macht sich vor allen Dingen an Beispielen und Erzählungen fest, in denen der Herstellungsprozess von Kultbildern detailgenau beschrieben wird, um den Mechanismus der Selbsttäuschung aufzudecken, der die Kinder Israels dazu brachte, um das Goldene Kalb tanzen, wo sie doch hätten wissen müssen, dass es aus dem Gold ihrer Ohrringe gemacht war. In Buch Jesaia, im Buch der Weisheit, und an vielen anderen Stellen des Alten Testaments geht es um einen Vorgang, der im Vokabular neuzeitliche Psychologie als Projektion beschrieben werden kann. Es nimmt Wunder, dass Anselm Feuerbach, der als Erfinder der Projektionstheorie gilt, obwohl er ein Theologe war, diese Beispiele des Alten Testaments nicht stärker herausgestellt hat. Es fällt auf, dass alle Gottheiten der alten Welt eine wohldefinierte Funktion haben. Sie sind Götter mit Genitiv, Göttinnen der Fruchtbarkeit, Gott des Krieges, des Meeres etc. Kein menschliches Interesse ohne himmlische Adresse. Israel durchschaut diese Zusammenhänge, auf denen die Großreligion des Polytheismus in der alten Welt beruht. Der Qualitätssprung, den Evolutionstheoretiker der Religionen in der kritischen Sekundärreligion des Monotheismus sehen, ergibt sich dadurch, dass der neue Gott des alten Israel keine partikulare sondern eine universale Zuständigkeit hat. Er ist nicht mehr auf bestimmte Zwecke festzulegen. Er hat auch keinen Wohnort, haust in keinem Tempel, er hat kein Kultbild, ist überhaupt kein Ding in der Welt, sondern ihr Schöpfer. Dass Gott als der Schöpfer von allem mit dem von ihm Geschaffenen, in einem einzigartigen Verhältnis steht, liegt daran, dass er nicht ein Teil der Welt ist, sondern ihr Gegenüber. Diese Konstellation ist neu. Bisher waren die Götter innerweltliche Größen. Der Übergang von heroischen Helden, Menschen, die als Kämpfer, Führer und Könige einen gesellschaftlich-politischen Spitzenplatz besetzten, zum antiken Götterhimmel war fließend. Die griechische Sagenwelt kennt die geschlechtliche Vermischung von Göttern und Menschen, die zur Geburt von Halbgöttern führt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass etwa im Imperium Romanum die Karriere eines Imperators nahezu regelmäßig mit seiner Divinisierung abschloss. Vom Kaiseropfer zum Götteropfer war nur ein kleiner Schritt. Diese Amalgamierung von weltlicher und göttlicher Herrschaft sollte sich für viele frühe Christen tödlich auswirken. Das Kaiseropfer mussten sie verweigern. Gerne hätten sie dem Wort Jesu folgend „dem Kaiser gegeben, was des Kaisers ist“ (Mk 12,13 parr), wäre der Kaiser nur ein weltlicher Herrscher gewesen. Da aber das Kaiseropfer als Kulthandlung eine religiöse Zeremonie war, die einer quasi-göttlichen Person galt, wählten sie das Martyrium. Die Vermischung der göttlichen und menschlichen Sphäre war für alle Machthaber eine attraktive Verstärkung. Wer die Macht hat, fordert die Proskynesis, mit der sich der Untertan vor dem Herrscher in den Staub wirft. Der Machtinstinkt befiehlt, sie mit niemandem zu teilen, auch nicht mit himmlischen Mächten. Daher wird, dort wo es um Herrschaft geht, die Grenzlinie zwischen Himmel und Erde strategisch verwischt. Wer die Macht hat, muss sie politisch absichern. Der Machterhalt ist nur dann gesichert, wenn auch alle Untertanen innerlich zustimmen. Bis in die tiefsten Überzeugungen, d.h. bis in den religiösen letzten Grund des Bewusstseins muss die Macht abgesichert sein. Deshalb ist das Ideal der ungeteilten Macht ein Gottkönig, der divinisierte Imperator, dessen Wort Gesetz ist. Auf ihn hören nicht nur die Militärs, sondern auch die Priester, die für den Tempelkult des Alleinherrschers sorgen. Dies gilt nicht nur für orientalische Potentaten, sondern weltweit. „Sohn des Himmels“ – so hieß der Titel des Kaisers im alten China. Der Tenno galt, bis die Amerikaner ihn nach ihrem Sieg über Japan förmlich entdivinisierten, als Nachfahre der göttlichen Sonne. Auch der Dalai Lama war, bevor die Chinesen ihn vertrieben, ein lupenreiner Theokrat. Geistliche und staatliche Macht waren von den Priesterkönigen Afrikas bis zu den Herrschern Saudi Arabiens, die ihre Legitimität gewinnen, weil sie die heiligen Pilgerstätten Mekka und Medina schützen, immer auf die eine oder andere Weise vermischt. Im weltweiten Kulturvergleich ist das Amalgam von göttlicher und menschlicher Macht nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Diachron und synchron wird Religion als machtstützender Faktor immer als Instrument gesehen und wie selbstverständlich benutzt. Auf diesem Hintergrund erscheint die in den westlichen Demokratien und den Staatstheorien, die als ihr Fundament gelten, vorherrschende Idee einer Trennung von staatlicher und religiöser Sphäre, als ein höchst ungewöhnlicher Sonderweg. Die Trennung von staatlicher Macht und Religion erscheint im interkulturellen Vergleich als etwas geradezu Künstliches und Erklärungsbedürftiges. Die Antwort auf diesen Erklärungsbedarf liegt in der biblischen Aufklärung und ihrer Konsequenz, dem biblischen Monotheismus. Dies mag bei denen Kopfschütteln verursachen, die etwa mit Blick auf Assmanns Verlinkung von Monotheismus und religiös motivierter Gewalt in der biblischen Gottesvorstellung eine besonders gefährliche Variante der Vermengung von Religion und Politik erblicken. Dennoch kann gezeigt werden, dass die Gewaltenteilung von Religion und Politik in der Konsequenz des monotheistischen Weltbildes liegt. Es gibt freilich – dies kann man nicht oft genug wiederholen – genügend Beispiele für die Instrumentalisierung auch des monotheistischen Gottes. Auch das alte Israel hat zunächst in seiner Bundestheologie JHWH als unsichtbaren und mächtigen Bundesgenossen instrumentalisiert. Aber von Anfang an ist der Gott des alten Israel auch ein „Segen für alle Völker“. Segnen sollen sich mit deinen (Abrahams E. N.) Nachkommen alle Völker der Erde…“ (Gen, 22,18). Alle Menschen sind Gen, 2 zufolge Nachkommen Adams und Evas, und es liegt in der inneren Logik der Vorstellung von einem und nur einem Gott, der die Welt geschaffen hat, dass dieser Gott dann auch für alle Menschen ein Gegenüber sein muss. Diese Vorstellung von einem unsichtbare Gott (Joh 1,18: „Keiner hat Gott je gesehen“), als Hintergrund des Seins, dessen „Name“, die pure Ausrufung des Daseins ist, von einem Gott als Schöpfer und Gegenüber der Welt, ist eine religionsgeschichtliche Supernova. Gott ist ein ontologischer Sonderfall, kein Ding in der Welt, das etwa als Kultbild in die Hand genommen, oder an einem festen Wohnort verehrt werden kann. Dieser neuartige Gott des alten Israel ist dadurch gekennzeichnet, dass er sich entzieht, dass seine Wege nicht die der Menschen sind und seine Gedanken nicht die Gedanken der Frommen. (Vgl. Jes 55,8 „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege…“) Der Einwand, dass gerade dieser Bundesgenosse in Israel in einer einzigartigen Weise instrumentalisiert worden ist, und auch später in der Geschichte der christlichen Kirchen die Rolle einer Ermächtigungsinstanz gespielt hat, liegt nahe. In der Tat haben auch monotheistische Herrscher immer versucht, ihre Herrschaft religiös zu verstärken und sich als Mandatare des Höchsten ausrufen lassen. Die Gotteskämpfer aller Zeiten vom absolutistischen Herrscher von Gottes Gnaden bis zu Hitler, dessen Soldaten die Worte: „Gott mit uns“ auf dem Koppelschloss trugen, belegen die Instrumentalisierung des biblischen Gottes, der auf diese Weise zum Ermächtigter von Herrschaft gemacht worden ist. Insofern wäre das Verhältnis von Politik und Religion im Monotheismus kein anderes als in den anderen Kulturen der alten und neuen Welt. Hier ist wichtig darauf hinzuweisen, dass in diesem Punkt kein Unterschied zwischen dem Zustand vor und nach der monotheistischen Revolution besteht. Die polytheistischen Gottheiten sind dadurch zu charakterisieren, dass sie vollständig aufgehen in ihrer Rolle als Verlängerung menschlicher Bedürfnisse und Interessen über die Grenze des Zuhandenen und Machbaren hinaus. Funktionale Gottheiten sind natürlich sehr leicht zu instrumentalisieren. Man weiß ja für welches Interesse sie stehen. Aber in der Kritik an diesem Projektionszusammenhang liegt ja gerade die Pointe der biblischen Aufklärung! Dass der ganz andere neue Gott des alten Israel, der keine bestimmten Zwecke kennt, der nur sein pures Dasein ausgerufen hat, als Bundesgenosse gegen die Feinde Israels angerufen wird, ist so gesehen, ein unaufgeklärter Rest von Polytheismus. Gott als oberster Heerführer und Bundesgenosse ist immer noch ein Gott der Zwecke. Dass er sich als Parteigänger einer Ethnie offenbart, ist im Grunde eine Verschleierung. Der Verdacht, dass die Freiheit Gottes eingeengt wird, dass wiederum wie bei allen polytheistischen Gottheiten der Wunsch nach Beistand der Vater eines Gedankens ist, der dann für Realität genommen wird, markiert eine Entwicklung, die im Exil zu herben Fragen führt. Immer, wenn die Kinder Israels ihren Feinden unterliegen, kann dieses Schicksal auf die Untreue gegenüber dem eifersüchtigen Bundesgenossen zurückgeführt werden. Mit einem Schicksal wie der Verbannung nach Babylonien, 597 v. Chr. muss der Prophet Ezechiel fertig werden. Dieses Schicksal steht für ihn wie alles Schicksal in einem Tun-Ergehens-Zusammenhang. Israel hat sich dieses Schicksal selbst verdient. Jerusalem war wie eine treulose Frau, eine Geliebte, die zur Dirne geworden ist (Ez 16). Immerhin setzt Gott sich über das Tauschprinzip des Tun-Ergehens-Zusammenhangs hinweg, indem er einen Bund aufrecht erhält, den Israel nicht verdient hat. Im Buch Hiob kommt eine Entwicklung zu einem vorläufigen Höhepunkt. Wie schon bei Jesaja ist es der Gerechte, der leiden muss. Die falschen Freunde, die dieses Schicksal auf Sünden und Vergehen zurückführen wollen, sollen am Ende dafür bestraft werden. Diese Entwicklung macht deutlich, wie sich das Gottesbild entwickelt. Immer mehr erscheint Gott als ein Gott, der sich offenbart, in dem er bestreitet. Theologie wird zur „Kunst der Bestreitung“ (Hans-Joachim Höhn). Polytheistische Gottheiten waren und sind leicht zu instrumentalisieren, denn sie sind ein Produkt des Bedürfnisses nach Funktionalisierung und Instrumentalisierung. Auch die Zuwendung des ganz anderen einzigen Gottes kann in einem unaufgeklärten Rest von Instrumentalisierung missbraucht werden. Dann wird er wie schon die polytheistischen Gottheiten zum Helfer und Ermächtigter. Dies erklärt, warum in der Geschichte des Monotheismus bis in die Gegenwart hinein, dieser Missbrauch möglich war. Aber schon im Alten Testament beginnt eine andere, neue Tradition. Genau in dem Punkt, in dem sich der monotheistische Gott von den Götzen des Polytheismus unterscheidet, liegt seine entmächtigende Kraft. Die Neuheit des Gegenübers von Gott und Macht schließt zunächst keineswegs aus, dass die Machthaber sich dieser höchsten Instanz versichern wollen. Dies kann auf harmlose und begrüßenswerte Weise geschehen. Auch Könige können das Vater Unser beten und sprechen: „Dein Wille geschehe.“ Immerhin schärfen sie sich damit den Blick für die Differenz zwischen dem eigenen Willen und dem Willen Gottes. Das schließt schon eine Menge Untaten aus. Aber wie jeder Christ, muss auch ein König oft genug erkennen, dass das, was er zunächst für den Willen Gottes gehalten hatte, im Nachhinein sich als sein eigener entpuppt. Diese Differenz ermöglicht Selbstkritik, sie konstituiert so etwas wie Gewissen und bringt auch ein neues Menschenbild ins Spiel, das eines verantwortlichen Subjekts, das vor einer höchsten, einer letzten Instanz steht. Gott ist der Höchste; Gott ist ein Eschaton. Es ist die pure Anwesenheit dieser Instanz, die in ihrer Spannung als Gegenüber zur Welt im Polytheismus nicht zur Verfügung stand. Hier ist nicht der Platz um die vielfältigen Möglichkeiten vorzustellen, die in der Geschichte des Monotheismus durchkonjungiert wurden, mit der dieses Gegenüber von Gott und Macht seinen Lauf genommen hat. (Vgl. Paolo Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit. Vom Recht Gottes zum modernen Rechtsstaat, München, 2003). Aber es ist nicht verwunderlich, dass in der Wirkungsgeschichte des Monotheismus der Gedanke der Gewaltenteilung aufkommt. Die eschatologische Gewaltenteilung ist eine gerne übersehene Wurzel der Politik, genauer, einer Politik vom westlich-demokratischen Typus. Im Kontext einer Theologia-negativa behauptet sie nicht, den Willen Gottes zu kennen und zu besitzen. Sie reklamiert aber eine Instanz, die den faktischen Machthabern ihren totalitären Absolutheitsanspruch nimmt. So ist der Monotheismus als Kraft der Entmächtigung eine Totalitarismusbremse und der Ursprung der demokratischen Gewaltenteilung. Dass Montesquieu, die Theorie der Gewaltenteilung im Sinne einer Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative „erfunden“ hat, ist eine Folge der grundlegenden Gewaltenteilung, wie sie im Monotheismus von Anfang an präsent war. Gewalt ist zentripetal. Sie ist wie die Gravitation auf einen zentralen Punkt hin organisiert. Gewalthaber wollen ein Monopol. Was sie zu allerletzt wollen, ist ihre Macht zu teilen. Genau dazu zwingt sie der Gott, der biblischen Aufklärung.
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