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Eckhard Nordhofen

Gottes Namen

Bild und Text in der medialen Überlieferung des Christentums

Der folgende Vortrag wurde am 15. Dezember 2010 an der Universität Graz gehalten

Bild und Text sind Medien, die wir inzwischen in synchronem Nebeneinander benutzen. Bei einer diachronen Betrachtung stoßen wir gleich zu Beginn, d.h. mit der Erfindung der Buchstabenschrift, auf eine Episode radikaler Rivalität und Konkurrenz, für deren Folgen wir erst in der Rekonstruktion jener Phase einen Blick gewinnen. Im alten Israel, hatte das neue Medium, das erlaubte,  die gesprochene Sprache eins zu eins zu fixieren, zu einem Medienwechsel vom Kultbild zum Kulttext und zu einem Qualitätssprung in der Religionsgeschichte geführt.

Die Erfindung der Schrift ist die entscheidende mediale Voraussetzung für die Herausbildung des biblischen Monotheismus, wie sie in der hebräischen Bibel als einem Urmodell heiliger Schrift ihre Spur gezogen hat. In ihr bildet das Buch Exodus die Aitiologie des Kulttextes, vor allem mit den beiden Offenbarungspassagen Ex 3, der Berufung des Mose mit der Offenbarung des Tetragramms JHWH und dem Kap 32, der Herstellung und Zermalmung des goldenen Kalbes.

Diese Perikopen bilden den Höhepunkt in der großen Gründungserzählung einer neuen Religion im alten Israel. Diese hat wiederum ihren narrativen Höhepunkt auf dem Höhepunkt, genauer dem Gipfel des Berges Sinai. Dort empfängt Mose die Gesetzestafeln, auf die der Finger Gottes von beiden Seiten die „Weisung“ geschrieben hatte (Ex 31,18 und 32,15). Gott hatte eigenhändig geschrieben. Der Gott, der kein Ding in der Welt, vielmehr ihr Schöpfer war, der sich den Blicken entzog, hatte geschrieben, d.h. er hatte etwas in die Welt entlassen. Es ist kein Zufall, dass die Schrift zum privilegierten Gottesmedium des jungen Monotheismus wurde.

Was nun folgt, kann als ein großes Konkurrenzdrama von Text und Bild - genauer Kulttext und Kultbild gelesen werden. Mose darf die steinernen Schrifttafeln vom Berg herab seinem Volke übergeben. Setzen wir die Konkurrenten auf die Zeitschiene, die wir kulturgeschichtlich überblicken, werden wir sofort feststellen, dass das Bild alt, uralt ist, die Schrift aber neu, ein neues Medium, dessen revolutionäres Potenzial wir leicht übersehen. Dies einfach deshalb, weil es in unserer literaten Kultur schon wieder alt und gewohnt gewöhnlich geworden ist. Nun haben wir also beides, Text und Bild. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als sie in einer umfassenden Theorie des kommunikativen Handelns je nach ihrer Eigenart und ihrem Verhältnis zueinander zu bestimmen. Seit sie nebeneinander existieren, war ihr Verhältnis nie spannungsfrei und wird es wohl auch nie werden.

Betrachten wir das neue, das damals neue Medium näher. Nun ist es also möglich, der Sprache, dem Urmedium aller Medien, zu einer dauerhaften Objektivation zu verhelfen. Anlass genug, die Sprache einmal gründlich zu betrachten. Was sie ist und was sie kann, sehen wir am besten, wenn wir sie mit anderen Darstellungsformen von Bewusstseinsinhalten vergleichen.

Im Anschluss an Ernst Cassirers "Philosophie der symbolischen Formen" schlage ich zunächst einen erweiterten Sprachbegriff vor. J. L. Austin hat, ausgehend von der sprachanalytischen Trias Syntax, Semantik, Pragmatik, in seinem berühmten Aufsatz “How to do Things with Words“ das Sprachhandeln in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gerückt. In der Tat sind wir in der Lage, durch Sprechen zu handeln. Wir drohen, streiten, trösten, strafen, schmeicheln - ein gutes Teil unserer Aktivitäten und Taten, vor allem im interaktiven Umgang miteinander, bestreiten wir mithilfe unserer Sprache. Viel Aufmerksamkeit haben die so genannten "performativen Verben“ auf sich gezogen, bei denen Semantik und Pragmatik zusammenfallen. Anders als der Ausdruck "ich lache", der mit todernster Miene gesprochen werden kann, ist der Ausdruck "ich befördere dich" das, was er bedeutet, eine Beförderung, jedenfalls dann, wenn der situative Rahmen nicht, wie hier, ein Zitat ist oder eine Parodie.

Die von mir vorgeschlagene Erweiterung des Sprachbegriffs geht noch einen Schritt weiter. Wenn wir durch Sprechen handeln können, dann können wir auch durch Handeln sprechen. Menschliche Kommunikation kann stattfinden, ohne dass ein Wort fällt. Das bloße Erscheinen oder Fernbleiben kann - etwa nach einer dringenden Einladung - sehr viel bedeuten. Willy Brandts Warschauer Kniefall ist durch Worte gut zu beschreiben und zu bewerten, nicht aber zu ersetzen. Handlungssprechen gehört zweifellos zu den starken medialen Möglichkeiten kommunikativen Handelns. Es kann übrigens durch das, was ich gerade gemacht habe, nämlich eine nacherzählende Übersetzung, in vielen Fällen durchaus in das Sprachmedium übertragen werden. Beispiele dafür sollen uns noch beschäftigen.

Der Erzvater der Sprachphilosophie ist Aristoteles, der vom Menschen als dem "Lebewesen, das Sprache hat“, gesprochen hat. (Anthropos zoon logon echon). Im naturalistisch imprägnierten mainstream der Ideenpolitik ist es inzwischen üblich geworden, die "Sonderstellung des Menschen im Kosmos" (Max Scheler) als einen biblisch-metaphysischen Aberglauben, als eine anthropozentristische Übertreibung, in das Museum der Irrtümer von gestern zu verweisen. Der Adam, der wie alle Lebewesen aus Erde gemacht war, dem aber der göttliche Lebensatem eingeblasen wurde, der dann als Schöpfungsgehilfe den Tieren Namen geben  durfte, scheint entmythologisiert. Kein Alleinstellungsmerkmal für homo sapiens sapiens?

Karl Popper und Konrad Lorenz, die übrigens Schulkameraden waren, haben im so genannten "Altenburger Gespräch" diese Frage nach einem nicht trivialen Unterscheidungsmerkmal von Mensch und Tier, wie ich meine überzeugend und durchaus nichtmetaphysisch geklärt. Sie greifen dabei auf die Sprachphilosophie von Poppers Doktorvater Karl Bühler zurück. Bühler unterscheidet verschiedene Sprachfunktionen wie Ausdrucksfunktion, Appellfunktion und schließlich die Darstellungsfunktion. Auch Tiere haben ihre Sprache. Viele der Bühlerschen Funktionen teilen sie mit uns. Bei der Darstellungsfunktion aber wird es interessant. Sie findet sich im Tierreich nur in bescheidenen Ansätzen. Einzig Homo sapiens sapiens kann mithilfe seiner Wörter über etwas sprechen, was weder hier noch jetzt präsent ist. Er kann Abwesendes anwesend machen.

Die Karl-Bühlersche Darstellungsfunktion ist – so das Fazit der beiden Gesprächpartner – ein nicht triviales Alleinstellungsmerkmal des Menschen. Dieses Ergebnis beruht auf empirischen Tatsachen und nicht auf metaphysischen oder theologischen Herleitungen. Nicht trivial ist es wegen seiner Konsequenzen. Dass es Tiere gibt, die etwas können, was kein anderes kann, ist trivial. Fledermäuse können sich per Ultraschall orientieren, Schmetterlinge oder Hunde können womöglich am besten riechen, ohne dass wir Ihnen deswegen eine "Sonderstellung im Kosmos" zusprechen müssten.

Dass wir genau dies bei der herausragenden Darstellungsfunktion, die der Mensch durch seine Sprache hat, zu recht tun, kann man sehr schön durch die so genannte “Drei-Welten-Theorie“ des Bühler-Schülers Popper erläutern. Hierfür war es aber wichtig, dass wir vorher den Sprachbegriff im Sinne einer Theorie des kommunikativen Handelns so erweitert haben, wie ich das  mit Bezug auf Austin und Cassirer vorgeschlagen habe. Bühler benutzt übrigens den Sprachbegriff immer auch schon im erweiterten Sinn. Das heißt, alle Möglichkeiten der Objektivation werden durch die Darstellungsfunktion erfasst: Wörtersprache,  Schrift, Handlungssprechen, Körpersprache, Bilder,  Musik,  neue Medien.  Hier ist es spätestens angebracht, das berühmte Diktum des Aristoteles zu erweitern: „Anthropos zoon sema echon“ der Mensch ist das Lebewesen, das darstellen kann, das Zeichen hat.

Poppers sogenannte Drei-Welten-Theorie, die im Grunde eine Erkenntnistheorie ist, unterscheidet eine erste Welt der physikalischen Zustände, eine zweite Welt der Bewußtseinszustände und eine dritte, die er „objective knowledge“ nennt. Objektiv ist dieses Wissen in einem schwachen Sinn, einfach deswegen, weil die menschliche Darstellungskunst in der Lage ist, Objekte hervorzubringen.  Popper, der wissenschaftstheoretische Interessen hat, denkt dabei erst einmal an Propositionen, also Sätze der Wörtersprache, an Theorien, lässt aber durchaus alle anderen Objektivaktionen des Menschengeistes zu.

In der Tat ist es sinnvoll, all das, was durch die Arbeit der menschlichen Darstellung in die Welt gesetzt worden ist, von dem zu unterscheiden, was in der Welt ohne die Produkte dieser Arbeit schon immer ist. Poppers dritte Welt ist vom Menschen geschaffen. Insofern ist der Mensch ein Schöpfer.

Es gute Gründe, mit Popper für die „Welt“, in der die Ergebnisse menschlicher Darstellungsarbeit ihren Platz haben, eine eigene Klasse vorzusehen. Der Mensch setzt etwas in die Welt, was es ohne ihn nicht gegeben hätte. Diese Entitäten von den immer schon vorhandenen Dingen in der Welt zu unterscheiden, ist deswegen sinnvoll, weil sie zu diesen in einem Referenzverhältnis stehen. Es sind – wenn man so will – Meta-Dinge. Wie diese Referenz aufzufassen ist, ist nicht immer klar. Dass die Pferde und Stiere von Lascaux auch außerhalb der Höhle eine Entsprechung hatten, kann man annehmen. Mit Zentauren ist das anders. Hier scheint die menschliche Phantasie sehr kreativ gewesen zu sein. Überhaupt wird das Bildermachen zu Recht als ein schöpferischer Vorgang angesehen.

Schöpfung bildet den Erzählrahmen Buches Genesis. Hier ist der Mensch ein Geschöpf, das durch göttlichen Atem belebte Bild Gottes (Gen 1,27, Gen 2,7). Ein Bild (selem), so lebendig, dass es seinerseits Bilder machen kann. Indem der Mensch Bilder macht, vollführt er einen mimetischen Akt in zweierlei Hinsicht. In dem, was er darstellt, ahmt er die Natur nach. Durch die Tatsache dass er darstellt, ahmt er den Schöpfer nach. Durch diese zweifache Mimesis setzt er etwas Neues in die Welt, das in der ersten Welt der Natur vorher nicht existiert hatte.

Wahrscheinlich gibt es Bilder schon so lange es Sprache, solange es Homo sapiens sapiens gibt. Die hebräische Bibel ist diesen beiden Darstellundsmedien gegenüber nicht neutral. So kritisch sie gegenüber den Bildern ist, so sehr setzt sie auf Sprache. Als gesprochene ist sie immer flüchtig gewesen, „in den Wind gesprochen“. Erst als geschriebene kann sie auf Dauer gestellt, die Zeit besiegen. Jetzt erst kann sie mit dem Bild, das immer schon ein bleibender Gegenstand war, in Konkurrenz treten.

Es lohnt sich, die Schöpfungserzählungen der Bibel auf ihre Metaphorologie hin anzusehen. Zu ihnen zähle ich auch den Johannesprolog, der sich mit seinem wörtlichen Zitat der ersten Worte der Septuaginata-Genesis bewusst als neu gefasste Schöpfungserzählung vorstellt: „En arche…“. Der Schöpfungsakt ist jedes Mal ein Sprechakt. Gott sprach, und es ward. Im Anfang war das Wort. Das Wort machte den Anfang, es erzeugte ihn.

Auch wenn wir Worte in die Welt setzen, Nachrichten, Gerüchte, erleben wir uns als kleine Schöpfer. Wir können sie nicht zurückholen, auch wenn wir es möchten. Wenn Homer eine Formulierung unterstreichen will, heißt es regelmäßig: "O welch ein Wort entfleuchte dem Gehege deiner Zähne…“

Kehren wir zum großen Konkurrenzdrama am Berge Sinai zurück. Aaron hatte von den Frauen, Söhnen und Töchtern Israels goldene Ohrringe eingesammelt, mit dem Griffel eine Skizze gezeichnet und ein goldenes Kalb gegossen. Die detaillierte Schilderung des Herstellungsprozesses ist nicht unwichtig. Auch im 44. Kapitel des Buches (Deutero)Jesaia werden sehr kleinschrittig die Herstellungsprozesse der Götzenbilder aus Holz und Metall beschrieben. Immer legt der biblische Autor großen Wert auf die Tatsache, dass diese Bilder Menschenwerk, gemacht, selbstgemacht sind. Und entsprechend ist der Kerngedanke der monotheistischen Aufklärung: ein selbstgemachter Gott ist ein Götze. Ein Gott, der das wirkliche Gegenüber des Menschen sein soll, darf nicht dessen Produkt sein.

Wir sollten die Menschen der alten Welt nicht für dümmer halten als uns selbst. Die Gnade der späteren Geburt garantiert keinerlei Intelligenzvorsprung. Gab es nicht schon zu Zeiten des blühenden Polytheismus immer auch Menschen, die so klug waren, die Götterbilder nicht dem zu verwechseln, was sie doch nur re-präsentieren? Wenn aufgeklärte Hindus ihr „worshipping“ vor einem Shiva-Lingam exerzieren, machen sie exakt diesen Unterschied. In dem großartigen Fragment „Moses und Aaron“ lässt Arnold Schönberg den Götzenbildner Aaron durchaus intelligente Verteidigungsreden halten. Andererseits lädt das Gottesmedium einer dreidimensionalen Skulptur, vor allem, wenn sie auch noch eine magische Suggestion abstrahlt, nahezu unausweichlich dazu ein, Abbild und Urbild zu verwechseln.

Der große Wechsel des Gottesmediums vom Kultbild zur Kultschrift hat den Vorzug, dass diese Verwechslung unmöglich wird.

Zu einem echten Drama gehört das Ritardando vor dem Sieg des Guten und Richtigen. Mose, dessen Zorn man schon kennt, er hatte nach einem Mord in die Wüste fliehen müssen, sieht den Tanz um das goldene Kalb. Was tut er da? Er tut – wir nähern uns der Peripetie des Dramas – etwas Ungeheuerliches. Er zerschmettert die Kostbarkeit, die er vom Berg herab getragen hatte: die Schrift Gottes. Aber auch das Kalb wird zerstört und zwar überbietend. Er wird nicht nur zerschmettert, es wird zu Pulver zermahlen. Dieses schüttet Mose in Wasser und die Kinder Israels müssen das Gemisch trinken (Ex 32,20).

Hier haben wir ein erstes schönes Beispiel für ein nacherzähltes Handlungssprechen. Was will Mose mit dieser Lehr-performance sagen? Wir können durchaus versuchen, diese Botschaft in Worte zu fassen, etwa: "Aus euch ist dieser goldene selbstgemachte Götze hervorgegangen, und nun müsst ihr ihn wieder in euch hineintrinken.“ Die  Gattung der Lehr-performance sollte unbedingt in die Liste wichtiger biblischer Erzählformen aufgenommen werden: das nacherzählte Handlungssprechen.

Die aufklärerische Einsicht, dass die Götter anthropogen, selbstgemachte Verlängerungen menschlicher Bedürfnisse und Wünsche sind, dass ein selbstgemachter Gott so wenig ein wirkliches Gegenüber, ein Anderer sein kann, wie das Placebo ein wirkstoffhaltiges Medikament, wird zum Ursprung des theogenen Monotheismus. Wenn Gott existiert, dann muss von ihm, von Gott selbst die Manifestation seiner Existenz ausgehen. Er muss sich offenbaren. Dazu steht mit der Buchstabenschrift erstmals ein Medium zur Verfügung, das nicht mit ihm selbst verwechselt werden kann.

Die Schrift zeichnet sich durch eine eigenartige Simultaneität von Anwesenheit und Abwesenheit aus. Sie zaubert in das Bewusstsein ihrer Benutzer Realitäten, von denen diese von vornherein wissen, dass sie von wirklichen Dingen in der Welt unterschieden werden müssen. Manchmal „gibt“ es diese gar nicht. Das Wort "Brathähnchen" kann realen Speichelfluss auslösen, satt wird man von ihm nicht.

Mit der Es-gibt-Frage, in üblicher Terminologie der Ontologie Gottes, nähern wir uns der religionsgeschichtlichen Supernova des Monotheismus. Das geniale Tetragramm JHWH ist eine sprachlogische Singularität und entspricht dadurch exakt dem, was es bedeutet. Die Ausrufung des Daseins ohne irgend eine weitere Bestimmung hat eine maximale Extension, während ihre Intension gleich null ist. Mit Extension wird der Umfang eines Begriffes bezeichnet, mit Intension sein Inhalt. Die Nullstellung des Inhalts macht dann auf einer Meta-Ebene die Extension zur Intension. Der maximale Begriffsumfang kann, weil es das Maximum logischerweise nur einmal geben kann, zum eigentlichen Inhalt, zum "Namen, der über allen Namen ist" (Vgl. Phil 2,9) werden. Mit anderen Worten, dieses semantische Hapax legomenon – so bezeichnen die Philologen diejenigen Wörter, die nur ein einziges mal vorkommen – diese steile Singularität macht klar, dass das ubiquitäre Dasein, das, anders als alle anderen Entitäten, keinen empirischen Tatbestand bezeichnet, ein ontologischer Sonderfall ist. Es bezeichnet die Wirklichkeit vor aller Wirklichkeit, wie ein Vorzeichen vor der Klammer.

So passt die Sprachlogik von JHWH, die Koinzidenz von Intension und Extension, die es prinzipiell nur einmal geben kann, exakt zur singulären Ontologie des einzigen Gottes. JHWH bildet sowohl logisch wie ontologisch eine eigene Klasse. Weil dies so ist, weil die Sprache das einzige Darstellungsmedium ist, in dem ein Dasein ausgedrückt werden kann, das kein Ding in der Welt ist, auch deswegen wird die Schrift, zum Königsmedium des neuen Monotheismus.

Im dritten Kapitel des Buches Exodus wird der der narrative Rahmen aufgespannt, der zur Installation des "Gottesnamens" nötig ist. Raum und Zeit, Kants „reine Anschauungsformen“, die Koordinaten unserer Realität, sind außer Kraft gesetzt. Der biblische Autor findet dafür die geeigneten Bilder. Der Dornbusch brennt. Die Transformation von Materie in Energie, im Feuer ist bestens geeignet, das irreversible Verstreichen von Zeit sinnenfällig zu machen. Aber der Dornbusch verbrennt nicht. Die Zeitkoordinate unserer Wirklichkeit ist suspendiert. Die Suspension des Raumes ergibt sich durch die Aufforderung an Mose, seine Schuhe auszuziehen „… denn der Ort wo du stehst, ist heiliger Boden". Mose steht nicht mehr auf dem "Boden der Tatsachen".

Gleichzeitig erfahren wir ein wichtiges Definiens von Heiligkeit. Dieser Begriff ist privativ, das heißt er "beraubt", er entfernt Normalität. Anders gesagt: er markiert Andersheit. Diese Alteritätsmarkierung wird in Zukunft das entscheidende Kennzeichen des biblischen Monotheismus bleiben. Alteritätsmarkierung wird zur zentralen Kategorie der monotheistischen Ästhetik, ihrer Kunst, ihrer Liturgie.

Der Dialog des Mose mit der Stimme aus dem Dornbusch verdient eine nähere Aufmerksamkeit. Mose erhält den Auftrag, das Volk aus dem Sklavenhaus Ägypten herauszuführen, ist schließlich einverstanden und fährt fort : „Gut, ich will also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott euerer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen darauf sagen?“ Dann folgt die Ausrufung des Tetragramms JHWH. Die Formulierung entspricht nicht der Erwartung des Mose. Als bloße Auskunft taugt die Formulierung eigentlich nicht. Dass da jemand da war, kann ihm selbst, mitten im Dialog nicht fraglich gewesen sein. Die Frage nach dem Namen, mit der er nur mit Berufung auf die Israeliten herausrückt, als wenn er selbst sich den direkten, möglicherweise unverschämten Zugriff nicht wagte, zielt auf ein Mehr, das über die schon manifeste Präsenz hinausgeht, sie ist außerdem im Grunde polytheistisch, mindestens henotheistisch, denn die Gottheiten tragen Namen, mit denen man sie unterscheidet. Wenn es nur einen gibt, wäre die Frage überflüssig.

Die eigentliche Pointe besteht also darin, dass die im Tetragramm ausgerufene Präsenz auch ein Name ist. Dies wird im folgenden Vers 15 noch einmal feierlich bekräftigt: “Weiter sprach Gott zu Mose: So sag zu den Israeliten: Jahwe, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer, und so wird man mich nennen in allen Gernerationen.“Es wird auch deutlich, dass die Abwesenheit einer unterscheidenden Bestimmung, wie sie sonst allen Namen eigen ist, eine Vorenthaltung bedeutet. Mose hört nicht das, wonach er gefragt hatte.

Alle Offenbarungserzählungen bemühen sich um einen Index des Entzugs. Gott zeigt den Kindern Israels den Weg durch die Wüste, indem er ihnen als leuchtende Wolke voranzieht. In einem handlungssprachlichen Kontext, auf den wir nun einmal aufmerksam geworden sind, kommt es immer wieder vor, dass auch Fakten und Dinge anfangen, sich mit Bedeutung aufzuladen. Was "sagt" uns die leuchtende Wolke? Einerseits ist sie gut sichtbar und wird insofern zum Zeichen der Gottespräsenz, andererseits ist es die klassische Eigenschaft einer Wolke, dass sie verhüllt und das Eigentliche, hier den unsichtbaren Gott, den Blicken entzieht. So macht uns die faktensprachliche Botschaft der Wolke einmal mehr auf die Gleichzeitigkeit von Präsenz und Entzug aufmerksam.

"Keiner hat Gott je gesehen", so heißt es im Johannesprolog (1,18) die ontologische Singularität dessen, dessen Name "der Ich bin da" ist, wird immer wieder dadurch aufgezeigt, dass der sich offenbarende Gott sich gleichzeitig entzieht.

Der gespenstische Kampf Jakobs mit dem "Mann" am Jakob (Gen 32,23-33) hat lange gedauert, „… bis die Morgenröte aufstieg", dann aber, bevor er ganz sichtbar geworden wäre, muss der Kampf aufhören. Der biblische Erzähler balanciert auf dem Grat zwischen Vorenthaltung und Erkennbarkeit. Jakob nennt den Kampfplatz dennoch „Penuel“, d.h. „Gottesgesicht", und er wundert sich: "Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin doch mit dem Leben davongekommen". Wenn er ihn gesehen hat, so doch nicht bei vollem Tageslicht und höchst ausnahmsweise, werden die Rabbinen sagen, denn in Ex 33,20 heißt es: „Kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben“.

Privatio, Entzug und Vorenthaltung - das sichert die ontologische Sonderstellung eines Gottes, der kein Ding in der Welt, vielmehr ihr Schöpfer ist. Kultbilder sind nicht in der Lage, die Alterität des "ganz Anderen" (Rudolf Otto/Paul Tillich) zu sichern. Es ist kein Zufall, dass im Dekalog gleich nach der Präsentation des Tetragramms, des "Gottesnamens" im ersten Gebot, das so genannte Bilderverbot, das genau genommen ein Gottes- und Kultbildverbot darstellt, folgt. Ohne die Möglichkeit, die Gottespräsenz im neuen Medium der Schrift zu etablieren, wäre dieses Gebot nicht möglich gewesen. Wer über Gott nicht schweigen will, braucht ein irgend ein Medium. Der Wechsel vom alten Medium kann erst stattfinden, wenn das neue zur Verfügung steht.

Mystiker, die eine Neigung zum ganz großen Entzug, zum Schweigen haben, arbeiten sich an dem Problem ab, das große Beschweigen der omnitudo realitatis vom Schweigen über nichts zu unterscheiden. Die Präsenz des „ganz Anderen“ im Namen übernimmt in der Folge wichtige Funktonen des Kultbilds.
So hat sich das Konzept der Gottespräsenz im Text, das Harry Austryn Wolfson mit Blick auf den Koran in einer Parallelbildung zum Begriff der Inkarnation "Inlilbration“ genannt hat. Der Text wird zum heiligen Ort Gottes. Er erfährt kultische Verehrung.

Fixierte Sprache ist ein besonderer Modus der Objektivation. In einer literaten Gesellschaft wissen alle, die an dieser besonderen Form des kommunikativen Handelns teilzunehmen gelernt haben, dass durch die Schrift über der physischen Welt neue fiktive Welten aufgestaffelt werden können. Diese stehen zu dieser nicht nur in einem additiven Referenzverhältnis, sie sind, wie wir bei der Betrachtung der Sprachpragmatik und des Handlungssprechens gesehen haben, mehr als nur Spiegelung und Darstellung, sie sind vielmehr wirksamer und wirkende Instrumente.

Der Anspruch der Tora, durch Weisung, nicht nur in den Zehn Geboten sondern auch in  365 Einzelbestimmungen den Willen Gottes für die Lebensführung des Frommen nachlesbar zu machen, geht weit über die Offenbarung der Gottespräsenz im Tetragramm JHWH hinaus.

Um den zweiten entscheidenden Medienwechsel des Monotheismus zu verstehen, ist es wichtig, die Ausrufung der Gottespräsenz durch seinen Namen deutlich von den legislativen Geboten zu unterscheiden, die seinen Willen verbürgen und den sicheren Zugriff auf ihn sichern sollen. Prägnanter als Johannes 1,14 kann dieser Medienwechsel nicht ausgedrückt werden: "… und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns sein Zelt aufgeschlagen". Wie ein roter Faden durchzieht die Medienkritik an der Schrift die Evangelien des neuen Testaments.

In Mt 5,17-29 redet Jesus zunächst wie ein Schriftgelehrter. Er ist nicht gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Kein Jota soll davon weggenommen werden. Dann aber der entscheidende Satz: "…wenn eure Gerechtigkeit nicht größer ist, als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen."

Die folgenden  Überbietungsformeln nach dem Muster: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist, Ich aber sage euch“, illustrieren das Verhältnis Jesu zum kodifizierten Gesetzestext.

Die größere Gerechtigkeit exerziert Jesus auch dadurch vor, dass er durch die überbietende Übertretung etwa das Sabbatsgebotes (Heilungen am Sabbat) eine in den Augen der Schriftfrommen anstößige Freiheit vom Gesetz praktiziert (Joh 8), dessen Exegese ich hier nicht wiederholen will, ist so etwas wie ein crucial experiment. Der Finger Gottes schreibt zum zweiten Mal, diesmal nicht auf steinerne Tafeln sondern eis ten gen, auf die Erde. Dorthin gehört kein Kulttext, dort könnte er ja mit Füßen getreten werden.

Paulus ist der Autor, der die von Jesus praktizierte Freiheit vom  Gesetz weiter einschärft und den Medienwechsel ratifiziert: "Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig“ (2Kor 3,5). Wir wissen nicht, ob dieses Logion mit Blick auf die Perikope von der Rettung der Ehebrecherin formuliert worden ist. Unwahrscheinlich ist es nicht.

Nach zwei Medienwechseln, vom Kultbild zur Kultschrift, von der Kultschrift zum Konzept der Inkarnation, bleibt das Problem, wie dieses neue Konzept, nach welchem nicht mehr das geschriebene Wort sondern das (Menschen)-Fleisch der Ort Gottes ist, von Jesus auf alle, die dies wollen, übertragen werden kann. Im Johannesprolog ist dies ausdrücklich verkündet worden. Allen "gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben."

Nochmals betone ich die Bedeutung des Präsenz verbürgenden Gottesnamens. JHWH war in Jesus Fleisch geworden. Wie kann nach der Episode von 33 Jahren diese Präsenz auf alle übergehen und damit das Leben Jesu aus der Kontingenz seiner Lebenszeit befreien?

Die Gemeinde ist nach Paulus ein "Brief Christi" - hier finden wir ratifiziert unmissverständlich den Medienwechsel. Freilich ist die Gemeinde, auch wenn der Paraklet ihr beisteht, nicht umstandslos in derselben Weise Ort Gottes, wie Jesus es war. Mit ihm kann sie beten "Dein Wille geschehe", aber sie muss auch um die Vergebung der Schuld bitten, die sie immer wieder auf sich lädt.

So wird ein altes Medium – eigentlich sind es zwei – wichtig. Israel hatte seine Gedächtniskultur im Pessach-Ritual gepflegt. Das ungesäuerte Brot der Wüste und das Blut des geschlachteten Lammes erinnerten an die Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten. Handlungs- und Faktensprechen verbinden sich zu einem singulären Fall kommunikativen Handelns, für das, ähnlich wie für den Gottesnamen, eine eigene ontologische Klasse eingerichtet werden muss. Dies ist deshalb wichtig, weil die Singularität des Christusgeschehens auch medial zum Ausdruck kommen muss. In der Konsequenz bedeutet das eine Unterscheidung des zentralen Sakraments und der Sakramente generell von allen anderen Formen der Alteritätsmarkierung. Nur so kann der Ertrag der biblischen Aufklärung gesichert werden. Deren zentraler Gedanke: ein selbstgemachter Gott ist kein Gott, kommt dadurch zum Ausdruck, dass bei allem, was die Eucharistie feiernde Gemeinde tut und macht, ihr Glaube davon abhängt, dass es im Grunde Gott ist, der handelt.

Im ersten Jahrtausend spielt das Medium Bild wieder eine besondere Rolle. Wie in einem System kommunizierender Röhren hatte die Verabschiedung der Schrift als Ort Gottes zu einer Renaissance der Bildkultur im Monotheismus geführt, Bilderverbot hin oder her.

Schrift und Bild gelten als analog. Es ist der Lukas, der Verfasser eines Evangeliums, der nun die erste Ikone der Gottesmutter "schreibt". Bis heute werden Ikonen "geschrieben" und nicht gemalt. Nach langem Streit gibt 787 das zweite Konzil von Nikaia, gestützt auf die platonische Lehre von der Teilhabe des Abbilds am Urbild, den Ikonen einen quasi-sakramentalen Charakter. Karl der Große erstrebt die Wiederaufrichtung des westlichen Kaisertums. Im Jahre 800 hat er sein Ziel erreicht. Zur Vorbereitung seines Eintritts in die Kaiserrolle hatte er 794 das getan, was die Kaiser des Ostens schon so oft getan hatten, er hatte ein Konzil einberufen. Die Libri Carolini (Verfasser Theodulf von Orleans) geben den Bildern den gegenüber der Orthodoxie schwachen Status einer – salopp gesprochen – religionspädagogischen Illustration. Sie selbst werden nicht verehrt sondern allenfalls die Heiligen und der Heilige, auf den sie verweisen. Außerdem substituieren sie für die Illiteraten die Schrift.

Interessant ist, dass sich alsbald andere Traditionen der Verehrung ausbilden. Dies führt mich zu der These, dass sich für alle, die an die Wirklichkeit eines göttlichen Gegenübers glauben, ein Grundbedürfnis der Verehrung wie von selbst ergibt. Dies ist kein proprium des Monotheismus, widerspricht ihm aber keineswegs.

Im heutigen Indien konnte ich  eine in die Lebensform tief eingelassene Praxis des worshipping beobachten. Sie weist quer durch die Religionen Hinduismus, Jain, Islam, Christentum, die gewaltige doktrinale Unterschiede aufweisen, eine frappierende Ähnlichkeit auf.

Wenn also der Westen (von Gnadenbildern abgesehen) die Bilder nicht zum Gegenstand der Verehrung macht, braucht er andere Gegenstände oder Medien, an die sich sein hier unterstelltes Verehrungsbedürfnis halten kann.

Es fällt auf, dass bei Karl dem Großen selbst, aber auch generell bei seinen Zeitgenossen, die Reliquienverehrung in Fahrt kommt. Im Westen entwickelt sich zudem die Verehrung des eucharistischen Brotes. Das Fronleichnamsfest entsteht im 12. Jahrhundert. Anders als in der Orthodoxie, die das gewandelte Brot in der Messe vollständig verzehrt, bildet der Westen Formen aus, die eine permanente Verehrung ermöglichen. Tabernakel und prachtvolle Sakramentshäuser entstehen. In gotischer Zeit entsteht für die runde, weiße Oblate die Monstranz, die der Gläubige in permanenter Anbetung vor Augen haben kann. In besonderer Weise kommen diese Medien dem Wunsch entgegen, Christus möge bei seiner Gemeinde geblieben sein.

Was sieht der Gläubige, wenn er eine runde weiße Scheibe sieht? Er sieht, dass er nichts sieht. Die weiße Hostie ist die Installation einer Vorenthaltung. Ein Bild, das in mancher Hinsicht mit Malewitschs weißem Quadrat verglichen werden kann.

Gerne würde ich die These zur Diskussion stellen, dass die Kirche mit ihrer Liturgie und ihren Sakramenten zwar wechselnde Möglichkeiten der Alteritätsmarkierung genutzt hat, dass aber alteritäre Kunstformen, die es außerhalb der verfassten Religion zweifellos gibt, vor allem, wenn sie sich nicht auf die biblische Tradition beziehen, auch nicht von denen, die Kirche und Kunst gerne wieder besser miteinander ins Geschäft bringen möchten, meuchlings getauft werden sollten.

 


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