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Eckhard Nordhofen

Mein Königtum ist nicht von dieser Welt
Über den Ursprung der Gewaltenteilung

Gewaltenteilung wird als die wirksamste politische Idee der Neuzeit gewöhnlich Montesquieu zugeschrieben. Die Reviere von Exekutive, Legislative und Judikative getrennt zu halten, gilt im Westen als der Kerngedanke demokratischer Ordnung. Diese  innerstaatliche Gewaltenteilung hat sich außerordentlich bewährt, und wir durften uns so sehr daran gewöhnen, dass wir kaum mehr bemerken, wie künstlich sie ist. Das erste Modell von Gewaltenteilung hat allerdings sehr viel ältere Wurzeln. Weil es ebenfalls nicht in den Genen eingeschrieben ist,  war es lange umkämpft und ist plötzlich wieder von höchster Aktualität: Die Trennung von Staat und Religion. Auch sie hat sich als segensreich erwiesen und zwar für beide Seiten, auch sie ist keineswegs selbstverständlich. 

Herrschaft gravitiert nämlich auf einen Punkt. Politische Macht ist zentripetal. Wer an der Spitze angekommen ist, hat gelernt, Rivalen auszustechen, und wer seine Herrschaftsgewalt zu teilen gezwungen war, musste befürchten, sie bald ganz zu verlieren. Gewaltenteilung ist instinktwidrig. Im Rudel und im Schwarm zeigt das Alpha-Tier, wo es lang geht. Hier herrschen klare Verhältnisse. Das war und ist bei den Horden von Homo sapiens nicht anders. Auch in menschlichen Gesellschaften wirkt der Machtinstinkt. Er befiehlt die Alleinherrschaft. Daher kann es nicht erstaunen, dass  Herrschaft weltweit, vor allem in allen alten Kulturen den Machtfaktor Religion mit einschloss. Welcher Herrscher wollte schon auf die sakralen Bindungskräfte verzichten, die heiligen Fundamente seines Regiments über Köpfe und Herzen?

Der Urtypus monistischer Macht ist daher der Gottkönig. Sein Wort ist Richtspruch und Gesetz zugleich. Auf sein Kommando hört nicht nur die Generalität, sondern auch die Priesterschaft, die in den  Tempeln seinem Standbild räuchert. „Sohn des Himmels“ hieß im alten China der Kaiser. Auch Nippons Tenno war ein Abkömmling der göttlichen Sonne, erst 1945 musste er als Gott abdanken. Der Pharao im alten Ägypten hatte selbstverständlich göttliche Ahnen. Die klassische Karriere eines römischen Kaisers erreichte mit seiner Divinisierung ihren Höhepunkt. Wie ein lebendes Denkmal der Theokratie wirkt der Dalai Lama, der bis zu seiner Vertreibung aus Tibet in seiner Person noch geistliche und weltliche Macht vereinte. Kurios und auch wieder nicht, dass selbst in nominell atheistischen Diktaturen wie Nordkorea der Personenkult nur mit den Kategorien der Religionsphänomenologie beschrieben werden kann.

Die Amalgamierung geistlicher und staatlicher Macht ist von den Priesterkönigen Afrikas bis zu den Herrschern Saudi-Arabiens, die ihre Legitimität auf ihre Rolle als Hüter der heiligen Pilgerstädte Mekka und Medina stützen, nicht die Ausnahme sondern die Regel. Die Ausnahme ist dagegen die Scheidung von Religion und staatlicher Macht. Aber dieser Ausnahmezustand soll dauern. So wollen es die Demokratien nicht nur im Westen. Ohne ihn gibt es keine Freiheit.

Schwer tut sich offenbar der Islam mit der Trennung von Religion und Regiment. Der Koran ist weniger ein doktrinaler Katechismus des Glaubens als ein Gesetzbuch der kollektiven Orthopraxie. Mit der neuen Blüte des Islam mehren sich daher die Versuche, die Scharia wieder zur Grundlage auch der staatlichen Gesetzgebung zu machen. Nigeria ist kein Einzelfall, auch die Arabellionen sind nicht frei von dieser Versuchung.

Ein oberflächlich laizistischer Gründungsmythos ließ lange die Türkei als Modell dafür erscheinen, dass es auch in der Umma gelingen könnte, Staat und Religion zu trennen. Das Erstarken der religiösen Partei Erdogans auf dem Hintergrund einer weltweiten Revitalisierung des Islam setzt ein Fragezeichen auch hinter dieses Experiment. Eine Rückbesinnung auf den Glutkern des Monotheismus könnte allerdings auch dem Islam eine interessante Perspektive geben. 

Dass die Eschata, die „letzten Dinge“, die höchsten Güter und die tiefsten Werte nicht Machthabern, Menschen aus Fleisch und Blut gehören, ist eine Vorstellung, die, gerade weil sie gewissermaßen „unnatürlich“ ist, höchst beabsichtigt und gewollt sein muss. Woher stammt sie?

Die eschatologische Gewaltenteilung ist der Ursprung aller Gewaltenteilung. Sie liegt in der Konsequenz des biblischen Monotheismus und zwar von Anfang an. Hier tritt sie erstmals in Erscheinung. Die von Jan Assmann angestoßene und anhaltende Debatte über die kulturellen Folgen der „Mosaischen Unterscheidung“ hat dieses Ergebnis, obwohl sie es gar nicht anstrebte.

In einer ersten aufgeregten Phase beschäftigte man sich mit einer nur scheinbar antiquarischen Frage, ob nämlich mit der Religionskritik Israels an den Kulten der alten Welt erstmals Religion als Quelle von Krieg und Gewalt aufgetreten sei. Ein knapper Blick auf aktuelle Konflikte in Indien, Indonesien und Afrika macht den Subtext dieser Debatte überdeutlich. Die Frage ist alles andere als antiquarisch. Ist Religion politisch toxisch? Ist insbesondere der Monotheismus als Ermächtigungsideologie das politische Gift, das Wahrheitsbesitzern ein religiös geschärftes Schwert in die Hand gibt? Wer die hebräische Bibel, etwa das Buch Josua, in die Hand nimmt, kann diesen Eindruck gewinnen. In der Tat geht Israel nicht zimperlich mit Amalekitern und Philistern um, die in dem Land wohnen, das der neue und einzige JHWH seinem Bundesvolk versprochen hatte.

Kriege aber hat es weiß Gott, vorher auch schon gegeben. Seit wann wären Eroberer um Gründe verlegen? Dem Wolf, der Appetit auf das Lamm hat, ist noch immer etwas eingefallen. Um Krieg zu rechtfertigen, bedarf es keiner Religion, und dort wo Religion und Herrschaft in derselben Spitze zusammenkommen, war jeder Krieg immer auch ein Religionskrieg. Die Bilanz der Gewalt ist durch Moses nicht signifikant gestiegen.

Was war dann wirklich neu am Monotheimus? Die Religionskritik Israels entlarvt Betrug und Selbstbetrug. Wenn die Gottheiten des Polytheismus, der in vielen „Dialekten“ verbreiteten Normalreligion der alten Welt, unter den Verdacht gestellt werden, allesamt selbstgemacht zu sein, nichts weiter als die Verlängerung menschlicher Bedürfnisse und Wünsche, gemäß dem Merksatz: kein menschliches Interesse ohne himmlische Adresse, dann ist eine philosophische Wahrheitsfrage in der Welt. Ob die Wahrheitsfrage notwendig zu Krieg und Gewalt führt, mag weiterhin kontrovers diskutiert werden. Die gewaltsamen Eroberungen, von denen das Alte Testament berichtet, werden meist bundestheologisch begründet. Die Landnahme beruft sich nicht auf Vernunft und Wahrheit, sondern auf den Besitztitel, der auf Gott, den großen Bundesgenossen zurückgeführt wird. 

Ist also der biblische Monotheismus der Ursprung maligner Religion? Unbestreitbar hat er immer wieder als Ermächtigungsideologie herhalten müssen. Offenbar erliegen tatsächlich  auch Monotheisten immer wieder einer gefährlichen usurpatorischen Versuchung. Usurpatorische Theologie, das ist die Erschleichungsstrategie  von Gottesfürchtigen, die schon wegen ihres frommen Eifers wissen, dass ihre Interessen mit denen Gottes identisch sind. 

Die sichere Kenntnis der göttlichen Ratschlüsse erscheint, bei Licht besehen, allerdings wie ein Rückfall in den Polytheismus, dem man doch vorgeworfen hatte, es seien die eigenen Bedürfnis und Interessen, die hinter der Produktion von Göttern stehen. Dagegen steht der wuchtige Gottesspruch Jesaias: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken…“(55,8) „Deus vult“, „Gott will es“ war der Schlachtruf der Kreuzritter, und „Gott ist groß!“ rief der Usurpator des Steuerknüppels am elften September 2001. Schrecklich gewiss – aber war das neu? Göttliche Bundesgenossen hatten schon die Helden Homers. Religion als machtverstärkende Ideologie begleitet, Gott sei`s geklagt, die Geschichte der Religionen, auch der monotheistischen, ist aber nicht das, was diese von anderen unterscheidet. Indien leidet unter den Gewalteruptionen gewalttätiger hinduistischer Polytheisten.

Nun tritt das auf den ersten Blick weniger spektakuläre, auf den zweiten aber höchst bemerkenswerte Ergebnis der aktuellen Debatte über den Monotheismus in den Blick, das eigentlich unterscheidend Neue dieses Qualitätssprungs.

Der Ägyptologe Jan Assmann hatte in der Spur Sigmund Freuds (Der Mann Moses) sich noch einmal mit der Episode von Amarna und ihren Folgen beschäftigt. Pharao Amenophis IV., alias Echnaton, hatte die Priester entmachtet und die vielen Gottheiten seines Reiches zu einer einzigen eingeschmolzen. Für diesen Singular bot sich die spektakulärste Singularität des Kosmos an, die Sonne. Ob dieses monotheistische Vorspiel am Nil, das nach dem Tod des Pharao-Reformators von der Priesterschaft wieder einkassiert wurde, fast spurlos verschwand oder eine unterirdische Tradition hinterließ, die bis zum Mann Moses reichte, diskutieren die Fachleute. Es gibt aber – so Assmann – einen beachtlichen Unterschied zwischen der Sonne am Nil und der Stimme aus dem brennenden aber nicht verbrennenden Dornbusch am Sinai. Es ist ein Unterschied ums Ganze.

Der Entzündungsherd der biblischen Religionskritik war zunächst ein aufklärerischer Verdacht. Mit orientalischer Freude am erzählerischen Detail schildert Jesaia (44) den Herstellungsprozess von Göttern aus Metall oder Holz. Götter selbst können nicht besichtigt werden, wohl aber ihre Statuen, und diese sind von Menschenhand gemacht. Die Existenz dieser Artefakte verdankt sich einer (Selbst)Täuschung, dem Bedürfnis nach himmlischen Adressen. Auch in der Geschichte vom Goldenen Kalb wird genau geschildert, wie die Söhne und Töchter Israels ihre goldenen Ohrringe hergeben, wie Aaron eine Skizze zeichnet und dann das Götzenbild herstellt. In der biblischen Polemik sollen die Verehrer selbstgemachter Götter möglichst dumm aussehen. Erst beteiligen sie sich beim Göttermachen, und am Ende tanzen sie verzückt um ihr eigenes Produkt. In der Logik dieser Kritik liegt die Wendung der Denkrichtung um 180 Grad: Ein Gott, dessen Existenz nicht auf menschliche Projektionen zurückgehen darf, muss sie sich selbst verdanken. Dem Menschen wird die Lizenz entzogen, sich Götter nach seinen Bedürfnissen und Wünschen zu machen. Seine Zuständigkeit hat Grenzen. In diesem Entzug liegt der Keim der Gewaltenteilung.
 
Auch bei den Pythagoräern und in der vorsokratischen Aufklärung findet sich eine vergleichbare Religionskritik. Sie blieb auf intellektuelle Eliten beschränkt, beschädigte aber kaum die polytheistischen Kulte der alten Welt. Es fragt sich, warum die biblische Aufklärung nicht ebenso folgenlos blieb.

Die Antwort gibt der „scriptural turn“. Die Möglichkeit, gesprochene Sprache eins zu eins zu fixieren, war in den frühen Formen des hebräischen Alphabets in ein neues Stadium getreten. Nun wird die Schrift erstmals religiös ernsthaft genutzt, sie wird zum Gottesmedium, das an die Stelle von Kultbildern treten kann. Kultobjekt ist nun die Schrift: Heilige Schrift. Dass die Götterbilder keine Götter sind, sondern nur bedeuten, werden  klügere Polytheisten immer schon gewusst haben. Sie waren ja nicht wirklich dumm. Aber dass das Bildnis eine magische Aufladung bekam, und dann mit der Gottheit selbst verwechselt werden konnte, war einfach nicht zu verhindern. Erst der Wechsel  zur Schrift als neuem Ort Gottes, schloss rein medientechnisch die Verwechslung aus, denn Schrift ist ihrem Wesen nach niemals das, was sie bedeutet. Präsent ist nur sie selbst, das, was sie bedeutet, bleibt meist entzogen. Die Simultaneität von Präsenz und Entzug hat das neue Gottesmedium mit ihm selbst gemein. Das ist mehr als eine Pointe.

Im Gottesnamen, dem Tetragramm, den vier Buchstaben JHWH  kondensiert sich der neue Monotheismus. Es lohnt sich, ihn unter eine sprachlogische Lupe zu legen. JHWH, „Ich bin da“, ist die allgemeinste denkbare Bestimmung. Als „Name“ kann es sie nur einmal geben. Jedes empirische Distinktionsmerkmal ist in diesem „Namen“ entfernt. Darin unterscheidet sich „JHWH“ von allem, was sonst existiert. Er ist kein Ding in der Welt, sondern ihr Gegenüber und, wie im Buch Genesis eindrucksvoll ausgesungen, ihr Schöpfer, der nicht-empirische Hintergrund aller Empirie. Eine ontologische Singularität. Das ist schon genial. Die Einzigkeit des Einen  ist sprachlogisch abgebildet.

Dass der neue Gott des alten Israel kein Teil des Kosmos ist, dass er auch der Schöpfer von Sonne, Mond und Sternen ist, unterscheidet ihn radikal von der Sonnenreligion Echnatons. JHWH wird zum Gegenüber und Widerlager der Welt. Diese bekommt plötzlich ein Vorzeichen. Plötzlich hat der König von Israel noch einen Herrn über sich, mit dem er Macht und Gewalt teilen muss. Undenkbar, dass im alten Orient ein Priester seinen obersten Herrn und Herrscher in die Schranken weisen und zur Rede stellen könnte. Genau das aber tut der Prophet Natan. Er stellt sich vor den König David und spricht: „…warum hast du das Wort des Herrn verachtet und etwas getan, was ihm missfällt? Du hast den Hetiter Urija mit dem Schwert erschlagen und hast dir seine Frau zur Frau genommen…“

In Israel herrscht erstmals eine eschatologische Gewaltenteilung.  Gottes Gesetz und Propheten entmächtigen die Mächtigen. Mit einem überweltlichen Herrscher zu rivalisieren ist sinnlos. Der Bethlehemitische Kindermord, mit dem Herodes einen zukünftigen Rivalen ausschalten wollte, beruhte auf einem Irrtum. Gott wird zum unangreifbaren Rivalen der Herrscher. Ist seine unsichtbare Wirklichkeit einmal anerkannt, kann er, anders als Rivalen von Fleisch und Blut, durch keinen Krieg beseitigt werden.

Es folgt eine bewegte Geschichte. Propheten wie Hosea (10.3f) legen sich mit den Königen an: „…ein König – was könnte er für uns tun? Sprüche machen, Meineide schwören, Bündnisse schließen; und die Rechtsprechung wuchert, wie in den Ackerfurchen das giftige Unkraut.“ Sie lesen den Potentaten die Leviten, fordern Gerechtigkeit und machen sich zu Anwälten der Witwen und Waisen. Im Neuen Testament macht  Jesus die Gewaltenteilung stark „…gebt dem Kaiser was des Kaisers ist und Gott was Gottes ist“(Lk 20,25) Am Ende stellt Pilatus die Königsfrage. Darauf Jesus: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn es von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen…“ (Joh 18,36.) Von Hinrichtung bedroht, führt er dann Pilatus, dem Herrn über Leben und Tod, dessen Zweitrangigkeit vor Augen: „Du hättest keine Gewalt über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre.“(Lk19,11)

Als dann zur Zeit der frühen Kirche der Kaiser göttliche Ehren beanspruchte, ließen sich die Christen lieber umbringen, als dem Kaiser zu geben was Gottes ist. Sie verweigerten das obligatorische Kaiseropfer. Im Machtkalkül des römischen Kaisertums war die Christenverfolgung eine instinktsichere Antwort auf eine echte Bedrohung. Denn so staatstreu und sanftmütig sich die neue jüdische Sekte auch gab, sie bestritt dem Kaiser seine machtverstärkende Göttlichkeit. Während das Imperium zerfiel, entwickelte der heilige Augustinus die Lehre von den „zwei Reichen“, der „civitas Dei“ und der „civitas terrena“.

Es ist nun nicht so, dass in 2000 Jahren Christentumsgeschichte sich nie das usurpatorische theokratische Modell durchgesetzt hätte. Bis heute hat in der Orthodoxie das Staatskirchentum Tradition. Auch im Westen gab es Ausreißer genug. Steile, wie Calvins Genfer Regiment und Bockelsohns Gottesherrschaft in Münster, und weniger steile. Kaiser Otto gab Bischöfen weltliche Macht, und auch Luthers Reformation verhilft den Landesfürsten zu einer Art Bischofswürde. In Canossa zieht der gebannte Kaiser Heinrich IV. die Karte kalkulierter Demütigung vor dem Papst. Caesaropapismus und Gottesgnadentum als absolutistische Ermächtigungsideologie, Napoleon demütigt den Papst und macht ihn zum Notar seiner Selbstkrönung. Laizistisch schroffe Trennung in Frankreich, freundliche in den USA, Kaum eine Variante wurde ausgelassen. Im Westen regiert der Dualismus.

Seit einem Jahrhundert hat das  westliche Christentum an weiser Machtabstinenz zugelegt und die eschatologische Gewaltenteilung so ziemlich anerkannt. Erst der Verzicht auf den Kirchenstaat hat die römische Kirche zu der moralischen Instanz gemacht, die sie in der Folge werden konnte. Das Kirchenrecht untersagt dem Klerus, politische Ämter anzunehmen. Der schwache Kirchenbegriff des Protestantismus hat dagegen die Folge, dass ein Pfarrer Bundespräsident sein kann, ohne dass auch nur der Verdacht aufkommt, die Republik mutierte zur Theokratie.

Der Kerngedanke der Entmächtigung, der auch legitime staatliche Institutionen unter einen grundsätzlichen Vorbehalt stellt, tritt im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland besonders klar zu Tage. 1949 steckte den Verfassern der Verfassung die Erfahrung des NS-Totalitarismus noch in den Knochen, den Stalinismus hatten sie direkt vor Augen. Indem sie allen Artikeln in der Präambel ein göttliches Vorzeichen voranstellten, sicherten sie die Republik vor jeder Art Totalitarismus, hier tritt die entmächtigende Tradition des Monotheismus rein zutage, ohne eine bestimmte Religion oder Konfession zu privilegieren. Die laizistischen Kämpfer, die in der europäischen Verfassungsdebatte dieses Modell ablehnten, verkannten den rein negativen Charakter des Gottesbezugs: Der Staat entmächtigt sich selbst.

Weil er sich in positiven Religionsdingen keinerlei Mandat anmaßt, braucht er, etwa beim Religionsunterricht, die Religionsgemeinschaften als Partner. (Art.VII,3) Vorbildlich befolgt er den Grundsatz der eschatologischen Gewaltenteilung und wird ihnen gegenüber nicht übergriffig. Nur ihnen kommt es zu, Inhalt und Ausübung ihrer Konfession auszugestalten. Religiöse Bildung braucht beides, die Teilnehmer- und die Beobachterperspektive. Nur wer seine eigene Religion von innen kennt, weiß wovon er redet, wenn er mit seinen Mitbürgern spricht, die ein anderes Bekenntnis haben. Gerade in einer religiös pluralen Gesellschaft bewährt sich der staatliche Religionsunterricht in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften. Wer heute wieder der Parole „Religion ist Privatsache“ folgt, die in der NS-Zeit zu hören war, übersieht in postsäkularen Zeiten ihren kommunitären Charakter. Woher sollen die Ligaturen und Kohäsionskräfte der Gesellschaft kommen? Der Art. IV, der die Religionsfreiheit für Gläubige und Ungläubige garantiert, macht die Konstruktion komplett. Sie hat sich glänzend bewährt.

Die Ankunft des Islam in Deutschland wirft die Frage auf, wem das Anpassungspensum aufzubürden ist. Das Grundgesetz den theokratischen Traditionen des Islam anzupassen, wäre absurd. Ist andererseits den angekommen Migranten dieses Pensum zuzumuten? Wenn kluge Muslime ihre Religion modernitätskompatibel machen wollen, fänden sie im Gedanken der eschatologischen Gewaltenteilung eine interessante Spur, denn ohne Zweifel ist der Islam eine monotheistische Religion.


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