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Ulrich Greiner

Léon Bloy

Der Rebell Gottes

Ein Buch zu lesen, in dem man die eigenen unklaren Gedanken aufs Schönste geklärt findet, ist ein Gewinn. Und doch kann der Wunsch, zustimmen zu dürfen, Ausdruck einer Bequemlichkeit sein. Sich im Gegenteil mit einer Geisteswelt zu befassen, die persönliche Überzeugungen verletzt, die allem widerspricht, was für modern zu halten wäre, ist ärgerlich und gerade deshalb zuweilen produktiv.

Hier ist nicht die Rede vom Rechtsradikalismus sondern von Léon Bloy. Dieser Franzose, geboren 1846, gestorben 1917, zählte zu den Köpfen des Renouveau catholique (Katholische Erneuerung), einer vornehmlich in Frankreich beheimateten Bewegung höchst unterschiedlicher Denker, die zu einem traditionellen Katholizismus zurückkehren wollten und der Trennung von Staat und Kirche opponierten. Auch Joris-Karl Huysmans war unter ihnen. Bloy war mit ihm befreundet. Huysmans und sein umfangreiches Werk sind heute weitgehend vergessen, mit Ausnahme des Romans Gegen den Strich (1884). Er gilt als die zentrale Programmschrift der Décadence.

Damit hatte Bloy nichts zu tun. Als Huysmans fromm wurde und in einem hyperästhetischen Katholizismus schwelgte (vor allem in seinem Roman Die Kathedrale von 1898), entzweiten sich die beiden. Denn Bloy erblickte das Heil nicht im Prunk, sondern in der Armut, nicht im Genuss, sondern in der Entsagung, nicht in der Selbstverwirklichung, sondern im Gehorsam. Gehorsam hieß für ihn, sich in der Nachfolge Christi zu üben und den Geboten der Kirche zu folgen.

„Ich erkenne nur den Schmerz als wirklich schön, begehrenswert, reinigend, wahrhaft göttlich an“, schrieb er 1884 in einem Brief. Denn Jesus, so seine Überzeugung, hatte zwar mit der Auferstehung gesiegt, aber diesem Sieg musste die Leidensgeschichte vorangehen.

Bloy erblickt in Jesus nicht allein den Schmerzensmann, sondern auch den Prediger der Armut. „Die göttliche Gnade wird im ganzen Universum symbolisch durch die Armen und die Bettler repräsentiert“, schrieb er und vertiefte diesen Gedanken in seiner Schrift Das Blut der Armen (1909). Dort definiert er, was Armut bedeutet: „Die Armut ist das Relative – der Entzug des Überflüssigen. Das Elend ist das Absolute – der Entzug des Notwendigen.“ In der ökologischen Debatte taucht dieser Gedanke der Askese wieder auf, allerdings in einer säkularisierten, transzendenzlosen Form.

Für Bloy ist die Armut ein Gottesgeschenk. „Meine tiefe und unerschütterliche Überzeugung ist, dass ich dazu auserwählt bin, der Zeuge Gottes zu sein, der sichere Freund des Gottes der Unterdrückten und der Armen, wenn die Stunde kommen wird, und nichts wird wichtiger als dieser Ruf sein. Ich habe die unvergleichliche und wundersame Ehre, demjenigen notwendig zu sein, der niemanden braucht.“ Und er fügt hinzu: „Das Essenzielle meines Weges ist die Armut.“

Arm ist Léon Bloy die längste Zeit seines Lebens. Mit seinen Büchern verdient er wenig. In diversen Anstellungen als Buchhalter oder Journalist hält er es nicht lange aus. In jungen Jahren ist er Sozialist mit anarchistischer Tendenz. 1867 lernt er den Schriftsteller Barbey d'Aurevilly kennen, der ihn zum Katholizismus bekehrt und dessen Sekretär er vorübergehend wird. 1890 heiratet er die dänische Protestantin Jeanne Molbech, die er zur Konversion bewegt. Sie werden vier Kinder haben, von denen zwei schon früh sterben. 1902 schreibt er in einem Brief: „Wir haben keine 10 Sous mehr im Haus. Menschlich gesehen ist die Situation mehr als furchterregend. Göttlich gesehen ist sicher alles in bester Ordnung. Heute, am Fest der Weihe, sagt die Kirche mit ihrer unendlichen Autorität, dass man alles, was man von Gott erbittet, auch erhalten wird. Sie können sich sicher vorstellen, dass ich etwas erbeten habe. Aber alles läuft auf das Fiat im Garten der Agonie hinaus. Es ist der Wille des Vaters, der sich vollzieht, und nicht der unsrige.“

Trotz dieser desolaten Lage weiß er um den Unterschied zwischen Armut und Elend. Im Blut der Armen schildert er die Ausbeutung am Beispiel der Perlenfischerei: „Ein bescheidenes Perlenkollier im Wert von 60000 Francs ist die Rechnung eines Frühstücks für 60 Haie und bedeutet den schrecklichen Tod von 60 Geschöpfen, die Gottes nach Ebenbild geschaffen sind und die von ihrem grausigen Handwerk kaum leben konnten.“

Den 1259 Seiten umfassenden Band Diesseits von Gut und Böse, in dem solche merkwürdigen und denkwürdigen Sätze zu finden sind, hat Alexander Pschera zusammengestellt. Das immense Werk von Bloy ist nach Themen und Stichworten in drei großen Blöcken geordnet, jeweils eingeleitet von einem klugen Essay. So finden wir in chronologischer Abfolge Passagen aus den Romanen, Abhandlungen, Tagebüchern und Briefen. Es ist offensichtlich, dass Pschera seinen Bloy liebt, denn anders wäre diese philologisch hervorragende Herkules-Arbeit nicht zu erklären.

Bloy zu lieben fällt nicht leicht. Die Lektüre taucht den Leser in ein Wechselbad aus Faszination und Widerwillen. Zwar bewundert er die Bravour des Stils, die Vitalität der Gedanken, die Zuspitzung des Arguments. Auch die bedingungslose Frömmigkeit dieses seltsamen Heiligen nötigt ihm Respekt ab. Mit wachsendem Befremden jedoch registriert er, wie sich Bloy im Hass verrennt.

Der Hass hat soziale Motive: „Jesus Christus ist nicht für die Bourgeoisie gestorben. Für jeden Mörder, für jeden Räuber, für jeden Unzüchtigen, aber nicht für die Hausbesitzer!!!“ Der Hass hat religiöse Motive: Er wünscht sich, „dass die Kirche öffentliche Gebete anordnen sollte, um den Tod der Kinder der Häretiker zu erbitten, die sonst einer dummen und gotteslästerlichen Existenz ausgeliefert wären.“ Der Hass hat patriotische Motive: „Alles, was meinen Hass auf England steigern kann, scheint mir wertvoll.“

Vor allem hasst er die Deutschen. Man kann das verstehen, wenn man weiß, dass Bloy im Krieg von 1870/71 Grauenhaftes erlebt hat (er schildert es in seinen Erzählungen Blutschweiß). Im deutschen Angriff 1914 sieht er den barbarischen Charakter eines vom Luthertum in die Irre geführten Volkes. Auch wenn man ihm darin folgen wollte: Sein Hass beschädigt die Sprache, sie wird pleonastisch, sie überschlägt sich in Invektiven.

In seinem Essay sagt Alexander Pschera, Bloy sei ein sanfter Familienvater gewesen, ein barmherziger Christ, ein gutwilliger Nachbar. Man nimmt es staunend zur Kenntnis und stößt auf solche Selbsterklärungen: „Niemand hat die anderen Menschen auf so naive Weise geliebt, wie ich es getan habe. Aber ich hasse die Dinge, die Institutionen, die Gesetze der Welt. Ich hasse die Welt unendlich.“ Und dann: „Ich habe Eigenschaften, die man auf keinen Fall haben sollte. Ich bebe vor Leidenschaft und Empörung, ich spreche eine eigene Sprache und, was das moralische Leben angeht, so nehme ich Anweisungen nur vom Papst entgegen.“ An einen Kritiker schreibt er: „Sie beurteilen mich menschlich, ohne zu berücksichtigen, dass ich außerhalb aller menschlichen Gesichtspunkte stehe und dass gerade dies meine ganze Stärke, meine einzige Stärke ist. Die einfache Wahrheit, die aus allen meinen Büchern herausbricht, ist die, dass ich nur für Gott schreibe.“ Unbescheidener kann man nicht sein.

Bloy war der notorische Rebell. Einer Meinung konnte er, wenn sie die herrschende zu werden drohte, allein schon deshalb nicht zustimmen. Als die Öffentlichkeit in der Dreyfus-Affäre gespalten war, schlug er sich weder auf die Seite der Antisemiten, noch auf die des ihm verhassten Emile Zola, der mit seiner Anklage J'accuse (Ich klage an) Furore gemacht hatte, sondern publizierte eine Gegenschrift unter dem Titel Je m'accuse (Ich klage mich an).

Schon 1892 hatte er den theologischen Traktat Le Salut par les Juifs (Das Heil durch die Juden) geschrieben, wo er darauf aufmerksam machte, dass die zentralen Gestalten des Neuen Testaments, allen voran Jesus, Maria und Josef, Juden gewesen waren, und daraus schloss, die endgültige Wiederkehr des Erlösers könne nur im Beisein und mit Zustimmung der Juden gelingen.

Léon Bloy ist bis heute ein Außenseiter geblieben, und selbst seine wenigen Leser, darunter so unterschiedliche Gestalten wie Ernst Jünger und Heinrich Böll, beurteilten ihn zwiespältig. Ihm jetzt in dieser herausfordenden Sammlung zu begegnen, beschert den Reiz des Widerspruchs.

Bloy war ein Reaktionär im Wortsinn. Seine Schriften sind wie ein Säbel, dem zu parieren geübt sein muss. Er war ein radikaler Christ, der die Botschaft der Bibel so ernst nahm wie nur möglich. Diejenigen, die sich Christen nennen, werden sich bei der Lektüre von Bloy fragen müssen, ob sie nicht einfach nur lau sind. Und diejenigen, die daran glauben, es müsse ohne Gott gehen und der Mensch könne das Glück in seine eigenen Hände nehmen, sollten über jenen Satz nachdenken, den er 1876 in einem Brief geschrieben hat: „Übrigens bin ich Christ, und als solcher besteht für mich überhaupt keine Notwendigkeit, glücklich zu sein.“

In dem französischen Schriftsteller George Bernanos, auch er einer vom Renouveau catholique, hat Bloy einen Geistesverwandten gefunden. Der Roman Tagebuch eines Landpfarrers (1936) stellt abermals die heikle Frage nach dem christlichen Armutsgebot. Sie entzweit die Kirche bis heute. Bloy, Huysmans, Bernanos (und viele andere) sind Teil jener französischen Tradition einer exzessiven Radikalität, deren jüngster Vertreter Michel Houellebecq heißt. Wenn man Léon Bloy liest, dann begreift man, dass er eine uns Deutschen fremde Geisteswelt verkörpert, die zu studieren sich lohnt. Man lernt aus dem Gegenteil.

 

Erschienen in der ZEIT vom 8. April 2020

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