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Ulrich Greiner

Gespräch mit Richard Ford

Die folgende Begegnung fand im Herbst 1995 in Hamburg statt, als Richard Ford aus seinem eben auf deutsch erschienenen Roman "Unabhängigkeitstag" im Hamburger Amerikahaus gelesen hatte. Die Passage ist ein Ausschnitt aus dem inzwischen vergriffenen Buch "Gelobtes Land - Amerikanische Schriftsteller über Amerika" (Rowohlt 1997). - Im Gespräch taucht gelegentlich der Begriff "affirmative action" auf. Siehe dazu diese Erläuterung.

Als im Frühsommer 1996 Roland Emmerichs Science-fiction-Film Independence Day Millionen von Amerikanern in die Kinos zog, lag die Paperback-Ausgabe von Richard Fords gleichnamigem Roman noch immer in den Buchhandlungen, und es geschah nicht selten, daß die Kinogeher den Roman in der Annahme kauften, es handele sich um das Buch zum Film. Ihre Überraschung dürfte gewaltig gewesen sein, gleichwohl ist von Protesten nichts bekannt geworden. Der Angriff der Außerirdischen gilt ja den geheiligten, in der Unabhängigkeitserklärung niedergeschriebenen Prinzipien: Life, Liberty, and the Pursuit of Happiness. Exakt dies ist das Thema von Fords Roman, und da er die Tugend der amerikanischen Literatur besitzt, eminent lesbar zu sein, ist es gut möglich, daß die Zufallsbegegnung mit Ford hier und da angenehm und bruchlos verlief: heraus aus dem Kino, hinein in den Roman. Denn Richard Fords Held ist ein Mann wie du und ich, ein typischer Mittelstandsamerikaner einerseits, weiß, geschieden, Vater eines pubertierenden Sohnes, abgebrochener Schriftsteller, abgebrochener Sportreporter, nunmehr Immobilienmakler in bescheidenem Wohlstand. Andererseits aber vielleicht insofern doch nicht ganz typisch, als Frank Bascombe ein seltsamer Heiliger ist, ein dilettierender Philosoph, begnadeter Schwätzer, der sich über Gott und die Welt seine Gedanken macht, der den Feiertagsausflug mit seinem Sohn als vertrauensbildende Erziehungsmaßnahme betrachtet, zu der es gehört, den Sohn mit Emerson zu traktieren und ihm Begriffe wie Freiheit und Unabhängigkeit nahezubringen. Was aber allein schon deshalb schwierig ist, weil Frank selber alles andere als wirklich unabhängig und frei ist.

Die Frage, ob Frank Bascombe typisch ist und wofür, wird im folgenden Gespräch von Richard Ford fast ärgerlich zurückgewiesen, und das mit Recht, denn erstens mag es kein Autor, wenn seine besondere Leistung in einen Musterkoffer gepackt wird, und zweitens führt die Frage nach dem Typischen nur zur nächsten, wichtigeren Frage: Woran liegt es, daß wir uns mit Frank identifizieren, sein Schicksal als das unsere betrachten? Denn dies ist das Geheimnis Fords. Schon der Roman Der Sportreporter (1989) hatte diesen Effekt, und es lohnt sich vielleicht, Fords Strategie näher zu betrachten. Bascombe war seinerzeit ein gutes Stück jünger und arbeitete noch als Sportreporter, aber schon damals fiel er durch sein haltloses, halb faszinierendes, halb lästiges Gerede auf. Er wußte immer etwas weniger, als er gerade formulierte, und immer etwas mehr, als ihm gut tat. Denn Frank ist der nur zur Hälfte Gebildete und der nur zur Hälfte über sich Aufgeklärte - und eben darin unser aller Stellvertreter. Wäre er dümmer und weniger empfindlich-empfindsam, dann würden ihn die Lage seines Landes, die Probleme seiner Immobilienkunden und die Frage nach dem Sinn des Lebens weniger beschäftigen, und wäre er klüger, dann würden wir ihn nicht so gut verstehen.

Natürlich kann man fragen, wie wahrscheinlich es ist, daß ein Mann wie Frank den großen Emerson liest und seine Freundin den probaten Tocqueville auf dem Nachttisch liegen hat. Die Kunst Fords besteht darin, daß er einen Als-ob-Realismus erfindet, indem er zugleich von innen und von außen erzählt, aus Franks Kopf und Bauch und als Franks lichter Augenblicksgeist. Dieser unendliche Monolog, abwechselnd ein wirklicher und ein innerer und ein scheindialogischer Monolog, ist die idealische Konstruktion des Individuums Frank Bascombe, was bedeutet, daß Ford nicht naturalistisch und nicht mit einem Originalton-Imitat arbeitet, sondern dem Haarriß zwischen Innen und Außen nachschreibt und damit im Individuellen das Überindividuelle glaubhaft macht. So ist es ganz natürlich, daß Frank, übermüdet nach langer Fahrt durch dichten Wochenendverkehr, ausgerechnet auf einem nächtlichen Motelparkplatz und ausgerechnet einem schwarzen Fernfahrer sein Herz ausschüttet, weil er justament entdeckt hat, daß Unabhängigkeit, wie er sie bisher verstand, nämlich als Freiheit von etwas und als monadische Existenz, nicht wirklich funktioniert. Wahre Unabhängigkeit bedarf der Liebe. Und er wendet die frische Erkenntnis auf diesen weidlich dumpfen und stumpfen Fernfahrer an, der natürlich keine Ahnung hat, wovon Frank eigentlich redet. Er ist auch nicht sonderlich interessiert daran, denn der Grund, weshalb die beiden auf dem Parkplatz ins Gespräch kommen, ist ein ebenso simpler wie schrecklicher Mord, der kurz zuvor in einem der Motelzimmer geschehen ist.

Richard Fords Themen sind nicht eben revolutionär, und natürlich fällt einem unter anderem John Updike ein: der andere große Mittelstandsepiker. Aber es nicht nur das Alter, das beide unterscheidet (Ford ist zwölf Jahre jünger), es ist vor allem der Blick: Updikes Rabbit-Figur Harry Angstrom ist Wachs in der Hand seines Autors, der ihr immer überlegen ist - als wissender Arrangeur, als helfender Interpret -, was zur logischen Folge hat, daß die Romane in der dritten Person erzählt sind. Fords Bascombe-Romane hingegen sind in der ersten Person erzählt, und sie handeln von einem Frank Bascombe, der die Sicherheit eines Harry Angstrom nie besessen hat. Während Rabbit die modernen Erschütterungen, die Amerika heimsuchen - die Jugendrevolte, das Zerbröckeln der Moral, der Krieg in Vietnam und die Landung auf dem Mond -, als die Erschütterung eines ehemals sicheren Weltbildes erlebt, hat es für jemanden wie Frank Bascombe diese Sicherheit gar nie gegeben. Er muß sich alles selber und von neuem aneignen, er entdeckt Amerika noch einmal, auf der Basis von Life, Liberty, and the Pursuit of Happiness - staunend, daß es das gibt und Bedeutung hat, und sich fragend, was eigentlich es bedeutet.

Mein Hinweis auf Updike hatte Richard Ford so unwirsch gemacht, daß er zunächst vorgab, Updike nicht zu kennen. Und ebenso unwirsch reagierte er, als ich in ihm den Südstaatenautor zu erkennen suchte. Beides war ziemlich ungeschickt, weil Ford solche Klassifizierungen nicht mag. So erwähne ich nur noch, daß Ford 1944 in Jackson/Mississippi geboren wurde, offenbar schon fast überall im Land gelebt hat, mit seinen wunderbaren, an Raymond Carver erinnernden Erzählungen Rock Springs, mit dem Sportreporter und dem Unabhängigkeitstag berühmt wurde und heute halb in New Orleans lebt, wo seine Frau als Stadtplanerin arbeitet, halb in einem Ort in Mississippi.

Ich fragte Richard Ford, ob er gern die eigenen Bücher liest.

„Ab und zu. Ich setze mich nicht hin und lese alle noch mal. Das wäre fruchtlos. Aber wenn mich gelegentlich jemand bittet, aus einem meiner früheren Bücher zu lesen, dann tue ich das ohne Widerwillen. Ich mag meine Bücher. Aber selbst, wenn man glaubt, ein sehr gutes Buch geschrieben zu haben, muß man sich fragen: Wie kann ich es besser machen? Mein Ziel, wenn ich ein neues Buch schreibe, ist es immer, das Beste zu geben, was ich kann, nichts zurückzuhalten und nichts zu übereilen. Deshalb empfinde ich keinen Ekel, ein früheres Buch in die Hand zu nehmen. Ich blicke nicht mit dem Gedanken zurück, ich hätte damals schlauer sein sollen oder so was. Mit meinen Büchern habe ich gelebt und lebe ich, sie sind, wie sie sind. Aber der Unabhängigkeitstag ist, glaube ich, ein reicheres, weiter gespanntes Buch geworden, humorvoller und mitfühlender. Ich weiß nicht, ob der Humor in der Übersetzung rüberkommt.“

Es ist ein besonderer, nicht-ironischer Humor.

„Ja, er kommt aus einer Art von Selbstunterschätzung, nicht aus der Selbstüberschätzung einer Ironie, die jemanden herabsetzt.“

Wie lange hat er mit Frank Bascombe zusammengelebt?

„Ich hatte das Zusammenleben mit ihm 1986 beendet, hatte die Gesellschaft mit ihm wirklich aufgegeben, jedenfalls, soweit es mir bewußt war. Aber ungefähr 1991 - in der Zwischenzeit hatte ich zwei Bücher geschrieben - bemerkte ich, daß aus den Notizen im meinem Arbeitsjournal die Stimme von Frank sprach. ‚Das klingt ja wie Frank‘, dachte ich völlig überrascht. Ich hatte schon eine Menge dieser Notizen, aber ich sagte zu mir ‚Schreib keine Fortsetzung!‘ Das ist riskant und läuft darauf hinaus, die losen Enden des früheren Buchs aufzulesen, aber es genügt nicht, ein wirklich neues Buch zu machen. Als mir die Idee kam, einen Roman über das Thema Unabhängigkeit zu schreiben und als ich ein Jahr darüber nachgedacht hatte, kam mir plötzlich vor, daß dies eine Geschichte wäre, die Frank erzählen könnte. Obwohl ich Frank wirklich mag und es mir immer leicht gefallen ist, ihn um mich zu haben, versuchte ich, mir das auszureden. Aber am Ende entschied ich mich, es so zu schreiben. Danach war ich völlig ausgepumpt. Aber heute kann ich den Unabhängigkeitstag hernehmen, irgendeine Passage daraus lesen, und ich fange an zu lachen. Das Buch freut mich noch immer.“

Empfindet er Ähnlichkeiten zwischen seinen Büchern und denen von John Updike?

„Ich kenne seine Bücher nicht.“

Er kennt Updike nicht?

„Ich habe nur eins gelesen, Bessere Verhältnisse. Es ist, wenn ich mich recht erinnere, in der dritten Person geschrieben. Wenn es Ähnlichkeiten zwischen mir und Updike geben sollte, wäre das nicht allzu überraschend. Amerikanische Schriftsteller sind immer an der Frage interessiert, wie die Leute ihr Leben leben und was es für sie bedeutet. Das war schon für Theodore Dreiser wichtig, so auch für mich und für Updike. Aber seine Bücher spielen im Nordosten, und meine nicht.“

Ford kommt aus dem Süden. Was bedeutet das für ihn?

„Ich halte mich nicht für einen Südstaatenautor. Es würde bedeuten, daß man entweder für ein Südstaatenpublikum schreibt oder über den Süden, und beides tue ich nicht.“

Warum nicht?

„Na ja, der Süden war das Thema von William Faulkner, Mark Twain, Walker Percy. Ich suche mir lieber eine Gegend, die literarisch noch nicht so besetzt ist. Deswegen spielt der Unabhängigkeitstag in New Jersey. Ich dachte mir, das ist eine Gegend, die noch nie wirklich beschrieben wurde.“

Aber verraten seine Bücher nicht doch etwas von der Mentalität der Südstaaten?

„Ich weiß nicht, was das sein soll. Ich lebe hier im Süden, ich kenne ihn ganz gut, aber er interessiert mich nicht. All die Dinge, die man normalerweise mit den Südstaaten verbindet, konservative Politik, Angst vor Veränderung, die Geschichte von Klassen, damit habe ich nichts zu tun, das ist mir scheißegal. Ich möchte nicht als Südstaatenautor betrachtet werden, ich schreibe über Montana und New Jersey und Kalifornien, ich schreibe über das ganze Land.“

Unabhängigkeitstag
ist ein amerikanischer Roman. Was bedeutet amerikanisch?

„Der Roman hat mit einem Thema zu tun, das alle Amerikaner aller Rassen verbindet: persönliche Freiheit und Unabhängigkeit, die Beziehung von Menschen zueinander und zu dem Ort, an dem sie leben. Wissen Sie, die Vereinigten Staaten wurden von Leuten gegründet, die ein Leben in Freiheit wollten. Die Bedingungen dafür haben sich geändert, und sie sind Gegenstand des Romans: die Flucht in die Vororte und die Flucht vor der Stadt, das ständige Reisen, die Sehnsucht nach einem bukolischen Verhältnis zur Natur.“

Frank Bascombe scheint ein typischer Vertreter der weißen Mittelklasse.

„Verzeihen Sie, aber ich denke nicht in diesen Begriffen. Ich bin keine Soziologe, sondern Schriftsteller. Ich denke nicht in der Kategorie des Typischen, sondern in der des Besonderen. Sie sind ein Europäer und mögen beim Blick auf Amerika das Typische suchen, aber für mich gibt es kein typisches Amerika, und ich glaube, es wäre nicht gut für meine Arbeit, mich auf derlei einzulassen.“

Aber er schildert soziale Situationen sehr genau.

„Vielleicht sind sie wiedererkennbar, aber sicher nicht typisch. Es wäre für mich unmöglich zu sagen, ob Frank typisch oder atypisch ist.“

Der Roman erzählt eine Menge über Amerika.

„Soviel wie möglich. Frank ist weiß, geschieden, und er lebt in einem Vorort, ja. Und es geht um Rassenunterschiede. Ich wollte soviel wie möglich in die Geschichte hineinnehmen, ohne dabei wie mit einem Hubschrauber übers Land zu fliegen. Frank ist ziemlich selbstquälerisch, dabei ziemlich artikuliert, und er ist voller Sympathie für andere Menschen. Mag sein, daß seine Situation von vielen Menschen geteilt wird. Aber ein typischer Amerikaner mit einem mittleren Intelligenzquotienten und in durchschnittlichen Lebensverhältnissen - wenn der versuchen würde, einen Roman zu erzählen, das wäre nicht sehr interessant. Frank ist der Sprecher dieser Geschichte, und in dieser Hinsicht ist er ein Besonderer und kein Typ. Seine Intelligenz ist die Maschine, die es ermöglicht, alle die Themen der Geschichte zu entwickeln, und deshalb liegt sie oberhalb des Durchschnitts.“

Er ist ein Mann der Möglichkeiten.

„Genau. Was Schriftsteller versuchen, besteht doch darin, den Leser in eine Situation hineinzulocken, mit der er sich vertraut fühlt - weißer Mittelschicht-Typ erzählt von Kleinstadt, Scheidung, Kindheit, Karriere -, und den Leser dann mit etwas Unerwartetem zu konfrontieren. Anders gesagt: Man guckt auf etwas, was man zu kennen glaubt, und dann wird einem blitzartig klar, daß man es nicht kennt.“

Die Geschichte spielt 1988. Frank sagt einmal, die Lebensverhältnisse hätten sich verändert: Mehr Menschen, weniger Raum, weniger Möglichkeiten. Ist das immer noch so?

„Sicherlich, es gibt mehr Menschen und weniger Raum als früher. Aber die Chancen sind gewachsen. Ökonomisch gesprochen: Die Arbeitslosigkeit ist niedriger, die Wirtschaft auf festerem Boden als im Jahr 1988, als wir die Talsohle einer schrecklichen Rezession erreicht hatten. Die Inflation scheint halbwegs unter Kontrolle. Ich glaube, die binnenwirtschaftlichen Bedingungen sind seitdem erkennbar, wenn nicht deutlich besser geworden.“

Aber die Immigration ist ein Problem.

„Ein wirkliches Problem. Aus all den Gründen, die jede Nation, jeder Staat damit hat, ob Deutschland, Frankreich oder eben Amerika, und sie erzeugt einen gewaltigen Druck auf die Liberalen.“

Ist er ein Liberaler?

„Absolut!“

Die Konservativen sind derzeit obenauf, und sie bereiten den Liberalen eine harte Zeit.

„Können die gar nicht. Die liegen falsch, und ich liege richtig. Aber beim Thema Immigration habe ich keine sehr liberale Position.“

Kennt er Michael Lind und sein Buch The Next American Nation? Er ist ein überzeugter Liberaler und für einen Immigrationsstop.

„Bin ich auch.“

Weshalb?

„Aus einem sehr einfachen und wichtigen Grund: Wir haben hier die schwarze Bevölkerung, die nie nach Amerika kommen wollte, und die, seitdem sie hier lebt, immer auf der Verliererseite war. Die Schwarzen haben keine Jobs, sie leben in ärmlichen Behausungen, sie erleiden die ganze Entwürdigung der posturbanen, postindustriellen Gesellschaft. Und nun passiert es, daß ein neuer Schwall armer Leute ins Land kommt.“

Einwanderer aus Asien und Lateinamerika.

„Ich habe nichts gegen diese Leute, aber ich bin davon überzeugt, daß wir als Nation eine allererste Verpflichtung gegen jene haben, die hier schon seit Jahrhunderten leben. Und wir sollten uns hüten, eine Situation zu schaffen, die die Schwarzen weiterhin zu Verlierern machen muß. Zwischen den Ärmeren der verschiedenen Einwanderergruppen herrscht oft große Feindseligkeit. Zudem habe ich den Eindruck, daß viele der lateinamerikanischen Immigranten aus repressiven Gesellschaften kommen und den reaktionären politischen Flügel stärken. Auch das mißfällt mir.“

Was könnte man tun?

„Natürlich muß man zunächst die illegale Immigration stoppen. Und was mich betrifft: Ich wäre glücklich, wenn wir für eine begrenzte Zeit jegliche Immigration stoppen würden, so lange, bis wir genauer wissen, welchen Effekt die unbegrenzte und massenhafte Immigration auf diese Gesellschaft hat. Was sagt Michael Lind dazu?“

Er sagt, einer der Gründe der unbegrenzten Einwanderung sind die Interessen der herrschenden Klasse.

„Ganz klar!“

Und das Interesse an niedrigen Löhnen.

„Sicher. Die Obstbauern, Gemüsefarmer und Baumwollplantagenbesitzer den ganzen Westen rauf und runter bis in den Norden von Michigan heuern diese Banden illegaler Immigranten an, die heute Erdbeeren pflücken und morgen verschwinden, und keiner weiß, wohin. Sie zahlen keine Steuern, ihre Kinder erhalten keine Ausbildung, und sie werden, unter den gegebenen Bedingungen, keine sehr nützlichen Bürger. Ich werfe ihnen nicht vor, daß sie kommen wollen, aber ich werfe mir nicht vor, daß ich sie jetzt raushaben will. Ich sage nicht: für immer, aber jetzt. Ich bin im Süden aufgewachsen, und von Anfang an war mir die Absurdität der Umstände bewußt, in der die Schwarzen gefangen sind. Das habe ich nie vergessen.“

Gibt es nicht eine schwarze Oberschicht?

„Die paar Anwälte, Ärzte und Diplomaten, ich wette, die machen nicht mal zwei Prozent der Bevölkerung aus. Aber es gibt eine riesige schwarze Unterschicht.“

Sollte man die Politik der affirmative action beibehalten?

„Ja. Sie mag manchmal nicht mehr so produktiv sein, wie sie es war, und man könnte sie sicherlich effizienter machen. Ich verstehe auch die Klagen von Weißen, die in ein Personalbüro kommen und sich für einen Job nicht qualifizieren können, weil sie weiß sind. Einiges müßte sicherlich neu justiert werden. Insgesamt aber ist affirmative action immer noch notwendig, obgleich ich über das Thema Sozialfürsorge anders denke.“

Inwiefern?

„Ich finde nicht, daß minderjährigen Müttern die Sozialhilfe entzogen werden sollte, wenn sie weitere Kinder kriegen. Wohl aber finde ich, daß man in das System Anreize einbauen müßte, damit junge Eltern nicht von der Sozialhilfe abhängig werden. Ich glaube, man sollte alle Anstrengungen zu einer Geburtenkontrolle unternehmen, und - an diesem Punkt liegen die Republikaner tödlich falsch - es sollten Kondome verteilt werden und Informationen, die dazu beitragen, daß diese Kinder keine Kinder kriegen. Fürsorgeempfänger, wenn sie dazu fähig sind, sollten zu verantwortlicher Arbeit herangezogen werden. Es gibt genügend Dinge, die in den Vereinigten Staaten zu tun sind, Arbeit im öffentlichen Interesse, und das sollte mit der Sozialfürsorge verknüpft werden.“

Glaubt er, daß es eine amerikanische Nation gibt?

„Die amerikanische Nation verändert sich auf problematische Weise, und irgendwie ist das ja auch der Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Demographisch hat sich das Land verändert, der Schwerpunkt liegt nicht mehr östlich des Mississippi wie früher, als das Geschichtsbewußtsein noch intakt war. Es wächst das Gefühl, daß die zentrale Regierung den Menschen nicht so dient, wie sie es nach Ansicht der meisten Amerikaner tun sollte. Die Empfindung nationaler Identität verschiebt sich weg von der Mitte zu einer föderativen Ordnung, die den Einzelstaaten mehr Verantwortung gibt, und das ist ja insofern in Ordnung, als Amerika aus einer Föderation gewachsen ist. Nicht ein Bundesstaat wie Deutschland, sondern ein Staatenbund.“

Aber wo liegt der kulturelle Konsens begründet? Früher war es die angelsächsische Tradition. Und heute? Ist es die Idee der multikulturellen Gesellschaft?

„Sie können es multikulturell nennen oder multiethnisch oder sonstwie - es gibt immer noch, wie ich glaube, ein starkes Gefühl für das Amerikanische, unterhalb all dieser Kulturen. Davon bin ich überzeugt.“

Gilt das auch für die neuen Einwanderer, die ja nicht mehr in erster Linie aus Europa kommen, sondern aus fremden Kulturen wie Asien?

„Oh ja, für die gilt das ganz besonders. Gerade wenn sie aus einem repressiven Land kommen: Sie kommen ja wegen der unbegrenzten Möglichkeiten hierher und weil sie wissen, daß ihnen hier nichts passiert. Indem sie sich hier eingewöhnen, gewinnen sie Vertrauen zu der Sache, auf die Amerika gegründet wurde: Freiheit. Mir ist deswegen nicht bange. Wir haben eine Menge Probleme, aber nicht einen Mangel an amerikanischer Identität. Unser Mangel heißt anders: Armut.“

Trotzdem: die alte Idee des Schmelztiegels, die alle ethnischen Gruppen in die gemeinsame amerikanische Sprache und Kultur hineinzwingt, funktioniert nicht mehr wie früher. Die Zahl der Amerikaner, die nicht Englisch spricht, wächst.

„Ich finde, es sollte ein Gesetz geben, das Englisch zur Landessprache erklärt. Ich habe jeden Respekt vor jeder Sprache. Aber: Damit aus diesem Land nicht ein Turmbau zu Babel wird, damit das Gefühl der Zusammengehörigkeit erhalten bleibt und die Chance der Eintracht, brauchen wir eine gemeinsame Sprache, so daß wir verläßlich miteinander reden können. Ich weiß, diese Haltung ist nicht sehr populär, aber das ist mir egal. Schließlich bin ich Schriftsteller, und Sie können sich denken, wie ich darüber urteile. Ich spreche Französisch, Spanisch, ein bißchen Italienisch, ich interessiere mich für Sprachen, ich verachte niemandes Sprache. Jedes andere Land hat eine gemeinsame Sprache. Das klingt konservativ, und es ist konservativ in dem Wunsch, etwas zu erhalten, was für lange Zeit funktioniert hat. Trotz all der imperialistischen und kolonialistischen Aspekte, die mit der Geschichte des Englischen verbunden sind - dieses Land kann nur überleben, sein Geschick kann sich nur zum Besseren wenden, wenn das Englische erhalten bleibt. Die Probleme, die wir zu lösen haben, sind auch auf englisch noch schrecklich genug.“

Macht er sich Sorgen über die Zukunft Amerikas?

„Ja, weil mein Vertrauen unbegründet sein könnte, weil ich vielleicht Unrecht habe im Glauben an die dauerhafte Existenz dieses Landes unter den Zeichen von Freiheit und Gleichheit, Freiheit der Rede, Freiheit der Versammlung, Freiheit der Religion und Trennung von Staat und Kirche. Ich sorge mich zum Beispiel deshalb, weil die Trennung von Staat und Kirche, die in der Verfassung explizit vorgeschrieben ist, zu verschwinden beginnt, mit der Überzeugung der politisch Konservativen: ‚Also, eigentlich ist das ja ein christliches Land.‘ Für mich ist dieses Land kein christliches Land, auch kein jüdisches oder muslimisches, es ist ein Land, in dem alle Religionen gedeihen sollen, und sei es die kleinste afrikanische Religionsgemeinschaft.“

Seine Zweifel hängen wohl auch mit dem Rechtsruck zusammen.

„Sicher. Die lautesten Stimmen kommen von der radikalen Rechten, aber die vertritt nicht die Wertvorstellungen der Mehrheit. Das sehen die Republikaner inzwischen selbst.“

Und Clinton?

„Ich stimme weithin mit ihm überein, mit Ausnahme seiner Haltung zum Thema Einwanderung. Aber man muß imstande sein, auch den Leuten, die man unterstützt, zu widersprechen. Die radikale Rechte kapiert das nicht. Die denkt, wenn du nicht ihr ganzes Programm kaufst, dann bist du durchgefallen.“

Wie hat sich denn das intellektuelle Leben seit Reagan verändert?

„Dieses Land ist so groß, so disparat, in vielen Gebieten so unterbevölkert, daß es gar kein intellektuelles Leben gibt.“

Wirklich nicht?

„Nein. Die Universitäten bilden eine Art Ferment. Aber intellektuelles Leben? Ich weiß, mir würden da einige Leute widersprechen, Susan Sontag wahrscheinlich, aber ich sehe das nicht.“

Fühlt er sich mit anderen Schriftstellern verbunden?

„Ja, durch ein Gefühl der Sympathie, weil Schriftsteller Leute sind, die optimistisch denken und die Sprache dazu gebrauchen, den politischen Zusammenhalt zu stärken, auch dann, wenn sie nicht über politische Themen schreiben. Ich selber habe nie über politische Dinge geschrieben, außer in meinem letzten Buch, und auch das ist nicht sehr politisch. Neulich traf in Günter Grass. Der ist ein wirklicher politischer Autor. So etwas haben wir nicht.“

Bedauert er das?

„Ja, weil ich glaube, daß das Vorhandensein einer phantasievollen politischen Literatur auch bedeutet, daß es eine Leserschaft dafür gibt und einen politischen Zeitgeist, ein Geistesleben, aber das haben wir nicht, und auch nicht eine Literatur, die das befördert.“

Gab es das nicht in den Sechzigern?

„Gut, aber das ist sehr selten. Politik wird traditionellerweise in Washington gemacht, und die ganze Tendenz der Nation geht dahin, daß die locker und jetzt noch lockerer angekoppelten Staaten immer weniger mit den zentralen politischen Dingen zu tun haben wollen. Die Leute kümmern sich nur noch darum, was in ihrem Staat und in ihrem Bezirk politisch passiert. Man liest hier auch anders. Wenn ein Buch nicht explizit mit Politik zu tun hat, gilt es als unpolitisch. Daß ein Roman auch etwas Politisches ist, sieht man nicht. Der Kinogeher von Walker Percy zum Beispiel ist, wie ich glaube, ein großer politischer Roman über das Ende der fünfziger und den Beginn der sechziger Jahre. Zu seiner Zeit war er visionär, aber niemand würde ihn als politischen Roman verstehen. Tom Wolfe hat vor vielen Jahren einen Essay geschrieben, in dem er die Abwesenheit einer ausgewachsenen politisch imaginativen Literatur beklagte.“

Ein Romancier oder ein Lyriker kann sich auch außerhalb seiner Romane oder Gedichte politisch äußern.

„Ja, es gibt ein paar Leute, Gore Vidal, sehr scharfsinnig, Norman Mailer, sehr scharfsinnig, Robert Stone, ziemlich scharfsinnig, also ein paar haben wir.“

Werden die geachtet?

„Gute Frage. Das Land ist generell sehr fragmentiert, und das liegt auch daran, wie das politische System funktioniert. Das ist so undurchsichtig und so abhängig von gewaltigen Geldsummen. Ein Schriftsteller wie Vargas Llosa, der in Peru fast Präsident geworden wäre, ist hier nicht vorstellbar. Man kriegt das Geld nicht zusammen. Norman Mailer hat blödsinnigerweise für den Senat oder sonstwas kandidiert, es geht nicht. Für einen Schriftsteller, der sein Leben literarischen Belangen widmet, ist es schlechthin unmöglich, herauszukriegen, wie das politische Spiel funktioniert. Die Amerikaner trauen nur jenen politischen Profis, die beteuern, daß sie keine politischen Profis sind.“

Dann hätte er als Schriftsteller ja gute Chancen. Hat er jemals daran gedacht, sich politisch zu betätigen?

„Ich bin dafür nicht talentiert.“

Aber er interessiert sich für Politik.

„Das schon, ich lese eine Menge darüber, und gelegentlich schreibe ich Kommentare über politische Themen für das Kanadische Radio.“

Wird er von amerikanischen Medien zur Mitarbeit aufgefordert?

Unabhängigkeitstag ist als politischer Roman verstanden worden, und nun werde ich wohl für kenntnisreicher gehalten als ich bin. Seit den guten Kritiken gerate ich in den Gesichtskreis von Leuten, die Zeitungen und Magazine machen. Die New York Times hat kürzlich einen Beitrag von mir gewollt. Aber im allgemeinen dienen die Zeitungen hier nur dem Verkauf von Anzeigen, die mit ein paar Geschichten gewürzt sind.“

Warum lebt er nicht in New York?

„Ich habe in New York gelebt. Aber die Stadt ist nichts für mich. Landschaften faszinieren mich, ich liebe die Natur, ich habe Hunde gern. Meine Frau ist Stadtplanerin in New Orleans, und ich habe ein Haus in Mississippi, fünf Stunden davon entfernt. So fahre ich hin und her.“

Wer regiert das Land?

„Wer das Land regiert? Die Reichen natürlich, die Reichen!“

Funktioniert die Demokratie?

„Das hängt von der Perspektive ab. Im Zusammenhang mit dem O.J.Simpson-Prozess wurden viele Schwarze im Fernsehen befragt, Leute von der Straße, und es hat mich schockiert, daß die meisten Schwarzen überhaupt nicht daran glauben, daß die demokratischen Institutionen in ihrem Sinne arbeiten. Aber verglichen mit den Fünfzigern funktioniert die Demokratie wirklich besser. Die Bürgerrechtsgesetze der sechziger Jahre sind vom Kongreß verabschiedet worden, und die jetzigen Diskussionen über Änderungen an der affirmative action und an der Sozialfürsorge finden auch im Kongreß statt. Ich glaube, daß das im Wesentlichen funktioniert. Die Gefahr besteht umgekehrt darin, daß sich die Bürger nicht mehr für die Demokratie interessieren. Als die Bombe in Oklahoma hochging, schrieb ich einen Essay für das Kanadische Radio, in dem ich etwa sagte, daß das Land unter der Attacke einer radikalen, militanten Rechten steht und daß sich die Leute nicht beruhigen, sich nicht daran gewöhnen sollen, daß sie diesen Horror nicht vergessen sollen. Fürchtet euch und wählt diejenigen Leute, die klar machen, daß so etwas nicht geduldet werden kann. Und die Burschen, die so etwas tun, sollen schrecklich dafür büßen.“

Redet er mit Freunden oder Kollegen über solche Dinge?

„Kaum. Ich habe nicht sehr viele Kollegen in diesem Sinne, und ich lebe ja, wenn ich nicht mit meiner Frau zusammen bin, vollkommen allein.“

Wird er nicht zu Talk-Shows oder Konferenzen eingeladen?

„Nein, so etwas gibt es in Frankreich oder Deutschland, wo in einem nationalen Sender Schriftsteller über allgemeine Themen diskutieren. Wenn hier diskutiert wird, dann sind es ausschließlich Politiker oder Fachleute. Schriftsteller hält man für zu unbedeutend.“

Kennt er Europa?

„Ja, in der Beziehung bin ich gut dran. Ich komme oft nach Europa, ich spreche Spanisch, Französisch. Nur vor Deutsch fürchte ich mich. Aber ich habe mir vorgenommen, Deutsch zu lernen.“

Kennt er deutsche Literatur?

„Im College haben wir Thomas Mann gelesen, Heinrich Böll, die Österreicher Peter Handke und Thomas Bernhard - alles in allem nicht sehr viel. Neulich traf ich den Kritiker Denis Scheck, der in Köln lebt, und er sagte mir, daß im letzten Jahr bloß 32 Bücher aus dem Deutschen in Amerika übersetzt worden sind, während es umgekehrt 1100 waren. Nicht viele amerikanische Autoren kennen Europa. Ein verbreitetes Vorurteil lautet, daß die europäische Kultur in Amerika eine Rolle spielt. Der Austausch zwischen Amerika und Europa betrifft den Kommerz und die Technik, aber das intellektuelle Leben überhaupt nicht. Und das, obwohl wir Weißen alle aus Europa gekommen sind.“

Wo stammen seine Großeltern her?

„Aus Irland, sie kamen um 1880.“

(Später, beim Abendessen in einem größeren Kreis, redeten wir über affirmative action, und ich sagte, wohl auch deshalb, weil Ford in dieser vorgerückten Stunde irgendwie indianisch aussah, spaßeshalber: „Wenn Sie indianische Vorfahren hätten, dann hätten Sie bessere Chancen.“ Und Ford entgegnete, plötzlich ernsthaft, er habe eine indianische Großmutter.)

Wie unterscheidet sich das literarische Leben Amerikas von Europa?

„Die Schriftsteller in Amerika empfinden Solidarität füreinander. Wir gehen sehr demokratisch miteinander um, und es gibt kaum Neid oder Mißgunst. In Europa scheint das anders zu sein. Sie konkurrieren gegeneinander, sie bekämpfen sich. Aber Kritiken nehmen sie viel philosophischer. Amerikaner empfinden eine schlechte Kritik wie einen Stich ins Herz. Sie sind empfindlicher. Europäische Schriftsteller begreifen eher die Notwendigkeit des freien Austauschs der Meinungen in einer kulturellen Szene, die so eng aufeinander bezogen ist. In Amerika ist man viel stärker an der Frage interessiert, ob etwas gut oder schlecht ist, ob der Autor recht hat oder nicht, und der Autor nimmt sich das sehr zu Herzen.“

Warum schreibt er keine Buchkritiken?

„Ich bin dafür nicht qualifiziert, und ich möchte nicht in die Lage kommen, das Buch eines Kollegen den Lesern abspenstig machen zu müssen. Es gibt in diesem Land so wenig Begeisterung für Poesie und imaginative Literatur, daß ich nur als Ermutiger auftreten will.“

Er betont also die Unterscheidung zwischen Kritiker und Autor?

„In der Tat. Ich habe natürlich Ansichten, aber nicht notwendigerweise Urteile. Ich glaube übrigens, daß das literarische Leben in Amerika auch deshalb gut ist, weil es Sartres Bemerkung entspricht, daß Literatur nicht unbedingt sein muß. Ich glaube, das denken auch die Amerikaner, und das gibt ihnen die Freiheit, aufzumerken, wenn ein Buch wirklich gut ist. Und wenn da ein Schwall von Büchern ist, die nicht gut sind, dann kümmern sie sich einfach nicht darum. Und das gefällt mir. Es zwingt einen dazu, sich anzustrengen, um die öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen.“

Gibt ihm das ein Gefühl der Freiheit?

„Ja, aber es ist die existentielle Freiheit des Nichts. Freiheit, die darauf beruht, daß man nichts hat. Es ist wirklich eine extreme Freiheit, und einer ihrer Vorzüge besteht darin, daß es mir gut ginge, wenn ich zu dem Schluß käme, mit dem Schreiben aufzuhören.“

Warum ginge es ihm gut?

„Wenn ich nicht mehr schreiben will und damit aufhöre, wäre das kein wirklicher Verlust, weil es unter Schriftstellern kein Gefühl von Professionalität gibt, das ist nur eine lose Clique von Amateuren.“

Seit einigen Jahren ist er ziemlich erfolgreich. Was bedeutet das?

„Ich habe eine Menge von Europa gesehen. Zu Hause fühle ich mich mehr oder weniger wie vorher, abgesehen davon, daß ich ein bißchen mehr Geld habe.“

Er kann davon leben.

„Ich kann davon leben. Ein gut Teil meines Einkommen kriege ich aus Europa. Aber in meinem täglichen Leben hat sich nichts geändert. Und weil ich nicht in New York lebe, werde ich auch auf der Straße nicht erkannt, keiner kommt zu mir und fragt mich um meine Ansichten, und so führe ich ein unbemerktes Leben. Ich liebe das. Schriftsteller, die eine Art von Medienstar werden, entfremden sich den Erfahrungen, denen sie ihr Werk verdanken. Ich bevorzuge abgelegene Orte. Die meisten Leute in den Kleinstädten, wo ich lebe, wissen nicht mal, daß ich existiere oder was für einen Beruf ich habe. Ich mag das, ein unauffälliger Bürger zu sein. Das ist einer der Gründe, weshalb ich New Orleans nicht mag: Das ist eine sehr künstliche Stadtgemeinde, und wenn ich mit einem Buch erfolgreich bin, dann zeigt sich jedermann begeistert. Es ist dann grundsätzlich unmöglich, jene Anonymität aufrechtzuerhalten, die man vorher hatte. Deshalb halte ich mich von diesen Plätzen fern.“

Will er unbemerkt bleiben?

„Na ja, es ist sehr angenehm, wenn Leute nett zu dir sind, weil sie dein Buch gelesen haben und dich mögen. Es ist äußerst schmeichelhaft, und ich fühle mich gut dabei. Es ist, als hätte ich einen Beitrag zu ihrem Leben geleistet, als hätte ich etwas für sie getan. Aber ich möchte, daß das Leben weitergeht, wie ich es immer gekannt habe, ich möchte die Dinge in der Gangart tun, wie ich sie tue, ohne irgendjemanden sonst.“

Würde er gerne mit dem Schreiben aufhören und etwas anderes tun?

„Ja, das würde ich gern.“

Warum?

„Weil das Schreiben schwieriger und schwieriger wird. Es kostet mich im Grunde das ganze Leben. Ich habe das Gefühl, daß ich mein Leben, jetzt zwanzig, nein dreißig Jahre daran setze und nicht genug für die Menschen tue. Als Schriftsteller geht es mir wundervoll, aber ich komme nicht dazu, sehr viel für andere zu tun, und ich muß dieselben Sachen immer wieder und wieder tun, nur um sie einen Zahn besser zu machen. Ich vermute mal, daß ich nicht zu bald zu alt werde, so daß ich versuchen könnte, für eine gewisse Zeit noch etwas anderes zu machen. Aber ich weiß nicht mal, was das sein könnte. Ich bin mal Lehrer gewesen, aber das kommt nicht in Frage. Im letzten Frühjahr, als ich nicht wußte, ob der Unabhängigkeitstag eine Pleite würde, habe ich mir gesagt: Gut, wenn der Roman eine Pleite wird und ich keine neuen Leser finde, dann werde ich was anderes machen, wie ich ja schon vor 1980 etwas anderes gemacht habe, und ich dachte, vielleicht ist jetzt der Augenblick. Aber nun läuft das Buch ganz gut, und ich habe eine anderes kleineres Buch angefangen, das ich gerne zu Ende bringen würde, und so werde ich das noch ein bißchen rausschieben. Aber, damit wir klar sehen: Das Leben eines Schriftstellers ist ein sehr leichtes Leben.“

Er ist der erste Schriftsteller, der das sagt.

„Verglichen mit dem Leben, das die meisten anderen führen, ist es einfach. Es gibt Zeiten, da arbeite ich wie der Teufel und bis an den Rand des Wahnsinns, aber die meiste Zeit mache ich nichts. Laßt uns um Gottes willen aufrichtig sein: Ich schleppe doch keine Ziegelsteine, nagele keine Nägel, fahre nicht vierzehn Stunden am Tag Traktor - das ist harte Arbeit!“

Muß er gegen Schreibhemmungen kämpfen?

„Ich hatte nie eine Schreibblockade. Mein erstes Prinzip war immer, darin Sicherheit zu haben, daß ich jeweils über das Wichtigste schreibe, was ich kenne. Deshalb habe ich nur sechs Bücher geschrieben. Ich habe 1968 angefangen, in 27 Jahren sind das nicht sehr viele. Aber ich hätte, unter der Maßgabe dessen, wie ich Bücher schreiben will, nicht mehr schreiben können. Schreibblockaden kenne ich nicht, weil ich mir sage: Wenn ich nicht schreiben will, schreibe ich nicht. Dafür bin ich zu pragmatisch.“

Frank Bascombe ist immerzu an anderen Menschen interessiert. Ist das ein Selbstporträt oder eine persönliche Utopie?

„Mehr mit anderen Menschen zu tun zu haben, das wäre schön. Ich spüre den Verlust des Kontakts mit anderen Menschen. Ich mag Menschen, aber ich kann nicht mit ihnen zusammen sein und zugleich Bücher schreiben. Bücher zu schreiben, das heißt - und besonders jetzt, da ich älter werde - mehr und mehr und mehr bei sich selber zu sein und mehr und mehr und mehr allein zu sein, es muß andauernde Ruhe herrschen, niemand darf stören, ich gehe schlafen mit dem Buch und wache mit ihm auf, all dieses Zeug, dieses neurotische Leben. Zu sein wie Frank, mitten im Leben, das ist ein Ideal.“

 


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