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Ulrich Greiner

Homo religiosus
Martin Mosebach: Häresie der Formlosigkeit

Katholiken sind keineswegs die einzigen Adressaten dieser glanzvollen und entschieden konservativen Streitschrift. Denn Mosebachs glühende Verteidigung der alten römischen Liturgie, ihrer asketischen Gesänge und subtilen Formen, ist die Erinnerung an eine einstmals große Kunstform, die in den sonntäglichen Gottesdiensten nur noch in Resten vorhanden ist. Also wird jeder, der Fragen der Form und der Institution für eminent hält, dieses Buch mit Gewinn lesen, während das im kirchlichen Leben aktive Gemeindemitglied entweder Anstoß nehmen oder nichts begreifen wird.

Mosebach stellt fest, dass es in der Geschichte des Christentums immer wieder antirituelle Affekte mit allerdings tiefen religiösen Wurzeln gegeben habe. „Unsere Zeit bietet das erste Beispiel eines liturgischen Ikonoklasmus aus religiöser Schwäche.“ Diese Schwäche zeigt sich in den vielfältigen Formen der Anbiederung, des herabgesetzten Anspruchs und eines sozialpflegerischen Appeasements, dergestalt, dass die Feier der Eucharistie, ursprünglich ein objektiv heiliger Vorgang, zur gruppendynamisch und demokratisch geregelten Veranstaltung wird. Mosebach unterschätzt wohl die Fremdheit, die dem zeitgemäß ungebildeten Gläubigen aus der alten Liturgie, wenn es sie noch gäbe, entgegenwehen müsste. Aber er trifft die Unterscheidung zwischen dem homo religiosus, „der in der Gegenwart Gottes oder der Götter lebt“, und dem „rationalistischen, metaphysisch blinden Menschen der Moderne“. Nicht für diesen, sondern für den homo religiosus hat der Schriftsteller Martin Mosebach, den wir aus Romanen wie Eine lange Nacht oder Der Nebelfürst kennen, diese erhellende Streitschrift geschrieben.

Martin Mosebach: Häresie der Formlosigkeit – Die römische Liturgie und ihr Feind. Karolinger Verlag, Wien 2002 – 2007 in einer erweiterten Neuausgabe bei Hanser.

Erschienen in der ZEIT am 12.12.2002

 


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